„Das war die schwerste Entscheidung meines Lebens.“ – Im Gespräch mit dem Komponisten, Trompeter und Dozenten Markus Stockhausen

„Mir waren die Freiheit und das Erforschen und auch das Nichtwissen wichtig: Wo geht es hin?“ Warum sein Kurs wie ein kurzer Urlaub aus dem Alltag sein kann, was man braucht, um zu improvisieren und welche schwere, aber wichtige Entscheidung für Markus Stockhausen ein Wendepunkt war, erfahren Sie in diesem Interview.


„Singen und Stille“ ist seit Jahren ein fester Bestandteil unseres Programms. Was macht deinen Kurs besonders? So besonders, dass er unentwegt dabei ist?

Vor allem meine Verbundenheit zum Alanus Werkhaus, dem Ort, an dem ich seit 1989 immer wieder tätig war. Mitte der ersten Zweitausenderjahre fing ich an mit „Singen und Stille“. Habe es da auch entwickelt, kann ich sagen.
Zunächst gab es in Köln vor vielen Konzerten mit intuitiver Musik, die ich in der Maternuskirche veranstaltete, Einstimmungen. Ich hatte mir ausgedacht, dass das Publikum eingeladen wird zu tönen, bevor das Konzert stattfindet. Und das war sehr schön. Daraus entstand der Wunsch, etwas Größeres zu machen. Tagesseminare waren es dann beim Werkhaus. Da kamen immer viele Leute, 20, 25. Von Anfang an war ein großer Zuspruch da und so hat sich das weiterentwickelt.


Du hast den Titel des Kurses geändert in „Kreatives Singen, Musizieren und Stille“. Was hat dich dazu bewogen?

Den Titel habe ich geändert um mehr Menschen anzusprechen, damit auch Menschen mit Instrumenten teilnehmen können. Unter dem Titel „Singen und Stille“ mache ich es an vielen anderen Orten weiter. Manchmal heißt es auch: „Wenn die Seele singt - Singen und Stille“. Im Grunde genommen geht es um dasselbe: Ein Format, in dem sich Menschen in einem kreativen, offenen Raum begegnen. Wo sie eingeladen werden frei zu tönen oder zu spielen. Nicht nach Vorgaben, nicht mit Liedern, nicht mit Mantren, sondern aus ihrem eigenen inneren, intuitiven Gefühl, aus dem Herzen heraus. 
Und immer im Wechsel gehen wir in die Stille. Das ist ein Weg. Der ist so wunderbar, weil man über den Klang hinaus in einen offenen Seins-Raum hineinkommt. Der erfordert unsere Präsenz und ermöglicht auch das Spüren des eigenen Körpers. Das In-sich-Hineinhorchen, der eigene Ton, das Lauschen, das Wahrnehmen von sich selbst, dem eigenen Energiefeld, aber auch die Wahrnehmung der Gruppenenergie. Und dann können auch Fragen auftauchen: „Woher kommen diese Energien? Was macht uns überhaupt aus? Was macht das Leben aus? Wieso ist Leben möglich? Wieso sind wir da? Wer bin ich?“ Wichtige Seinsfragen. Seit meiner Jugend waren diese Themen schon ein Steckenpferd von mir, eine besondere Neigung. Musik und Spiritualität, beides hat mich interessiert. Heute bringe ich beide zusammen.


Welche Fähigkeiten sollte ich mitbringen, wenn ich in deinen Kurs komme? Muss ich singen können? Muss ich ein Instrument spielen können?

Die Kurse, besonders diese Tagesseminare, sind niederschwellig gedacht. Das heißt, jeder kann kommen, wenn sie oder er mag. Wenn man Instrumente mitbringt, dann freue ich mich, wenn sie auch beherrscht werden. Dass man nicht nur sagt „Ich besitze ein Instrument“, sondern dass man auch irgendwie etwas Schönes darauf spielen kann. Das wäre gut, aber ist meistens auch der Fall. Selten mal, dass jemand ein Instrument einfach so mitbringt und darauf spielen will, es aber eigentlich nicht kann. Das würde nicht so viel Sinn machen, denn wenn man auch über Intuition redet oder über kreatives Spielen, dann muss man sich schon mit dem Instrument verbunden fühlen und auskennen. Das ist eigentlich das einzige. Aber es werden keine größeren musikalischen Kenntnisse verlangt in diesem Format, auch stimmlich nicht.


Es kann auch ein Einstieg sein in die Musikalität?

Ja, gerade mit Gesang, mit Stimme, ist das ganz oft der Fall, denn da sind keine Vorkenntnisse nötig. Oft kommen Leute und sagen: „Boah, ich habe 30 Jahre nicht gesungen. Und früher haben sie mir nur gesagt, ich singe immer schief, und jetzt möchte ich endlich meine Stimme wiederentdecken.“ Manche kommen auch und machen weniger mit, sind stiller, hören erstmal nur zu. Sie kommen dann vielleicht ein zweites oder drittes Mal und trauen sich dann mehr. Aber es ist immer so, dass man durch den Klang der Gruppe angeregt wird. Ob das jetzt vorwiegend stimmlich ist oder aber auch mit Instrumenten. Man traut sich dann plötzlich Sachen mitzumachen, weil andere auch spielen, weil da schon ein Klang ist. Dann kann ich eben auch mitmachen und ich entdecke meine eigene Stimme. Und das Ganze ist sehr spielerisch. Es ist nicht irgendwie streng, sondern es ist auf Kreativität, auf Spontanität, auf Intuition ausgelegt. Da entstehen tolle Sachen.


Du schaffst es also, aus mir Töne herauszubringen, wovon ich vielleicht selbst nicht geglaubt habe, dass ich sie singen kann?

Ja, so ist es. Genau. Ja. Durch die Ermutigung, durch die Gruppe und durch meine Anregungen. Denn ich spiele auch Klavier und die Leute können ihre Töne dazu finden. Das beflügelt. Viele haben natürlich keine Improvisationserfahrungen, sind dann zunächst etwas unbeholfen. Dann gebe ich Anleitungen, wie man anfangen kann zu improvisieren, wie man Töne variieren kann. Oder man hört sich was bei anderen ab.


Warum meditierst du auch in diesem musikalischen Workshop?

Da ist beides, Musik und Spiritualität. Klänge wirken nach in unserem Körper, in unseren Zellen und in der Stille. Und in der Stille schöpft man wieder neue Energie, um weiterzumachen, weiter zu singen, der nächste Klang bereitet sich vor. Dieses Hin und Her ist äußerst wirksam und fruchtbar.

Was passiert in der Stille genau? Abgesehen davon, dass wir stiller werden, dass der Geist sich noch weiter beruhigt, was ja auch schon beim Singen oder Spielen geschieht. Denn es sind ja nonverbale Vorgänge, das Singen und Musizieren, und die bereiten die Stille sehr gut vor.

Im Alltag ist unser Geist immer mit Wörtern, mit Begriffen, mit Vorstellungen behaftet, die er fortwährend abspult. Davon wegzukommen befreit. Die Wahrnehmung dessen, was ich auf einer tieferen Ebene eigentlich bin, jenseits des Mentalen. Wahrnehmung hat ja nicht notwendigerweise mit Denken zu tun. Ich kann Gefühle wahrnehmen. Ich kann hören, sehen, fühlen, ich kann meine Präsenz fühlen. Ich kann mich bewegen, ich kann einen Ton singen. Dafür muss ich nicht denken. Auf einer tieferen Ebene erkennen wir unser Sein. Ich als Subjekt nehme etwas wahr. In meiner Wahrnehmung taucht etwas auf: ein Gedanke, ein Gefühl, ein Bild, ein Klang. Wer ist dieses Ich, das wahrnimmt? Eine wesentliche Erfahrung. Wir nähern uns der Quelle des Lebens in uns. Darauf weise ich hin.


Zusammengefasst: Was bewirkt Meditation beim oder für das Musizieren konkret?

Es ist nicht kompliziert: aus meinem Spüren, aus der Intuition heraus singe oder spiele ich den nächsten Ton. Das bringt Freude, weil es einfach geschieht. Und die Stille fördert ein bewussteres, fühlendes Musizieren im Miteinander. Gleichzeitig ist es ein Erkenntnisprozess der Selbstfindung. Der findet sowohl beim Musizieren statt, als auch beim Meditieren. Einmal in einer klangvollen Weise, anders in der Stille. Die beiden ergänzen sich eben so gut.


Singen und Stille wechseln sich also regelmäßig ab? Ich komme in die Stille und ich komme ins Musizieren. Und am Ende des Prozesses hat sich etwas verändert. Also in mir selbst?

Ja, das ist absolut so, es verändert sich etwas. Wir gehen zwar immer hin und her zwischen Klang und Stille, Klang und Stille, aber die Grenzen verwischen sich zunehmend. Manchmal passiert es, dass wir gegen Ende eines solchen Seminars mehr Klänge haben, weil die Stille sowieso die ganze Zeit mitschwingt. Man braucht gar nicht mehr so sehr in die Meditation zu gehen, weil der Zustand des Stillseins während des Klanges fortschwingt.


Ich meditiere im Musizieren sozusagen?

Ja, man kann in einen überpersönlichen Zustand kommen, in dem man das eigene, Persönliche transzendiert. Das Ego wird unwichtig – nicht das bewusste, wahrnehmende Ich, das ist ein Unterschied. Und dann gibt es ein weiteres Phänomen in einer Gruppe, da ich ja nicht alleine bin, sondern mit den anderen zusammen töne oder musiziere: Da entsteht ein Feld, ein Energiefeld, das sich verbindet. Mein eigenes Energiefeld weitet sich, verbindet sich mit dem der Gruppe, und auch in diesem Sinne transzendiere ich meine Persönlichkeit. Ich höre das Ganze, ich empfinde mit dem Ganzen. Wenn man dann in einen Flow kommt, ist es wirklich ein wunderschönes Miteinander.


Was erleben die Menschen in deinem Kurs? Was erleben sie beim Singen, beim Musizieren und beim Meditieren?

Vielleicht, dass Leute sich einfach freuen, da zu sein. Unbeschwert. Und dass sie sich frei fühlen für einen Moment, dass sie eine Freiheit genießen im Klang. Dass sie Gemeinschaft erleben. Dass sie vielleicht eine Art Erleichterung erleben von der Schwere des Alltags. Es ist ein Freiraum. Ich sage manchmal, wir fahren in Urlaub. Das ist wirklich wie ein Urlaub, ein kurzer Urlaub. Man ist plötzlich in einem anderen Raum, in einem freieren Raum, in dem man sich frei ausdrücken kann. Und das bringt eine Leichtigkeit, eine Freude mit sich. Eine Erholung. Und das geht bis in den Körper. Ja eigentlich sind wir im Paradies.


Wenn du dein eigenes künstlerisches Schaffen betrachtest, wie hat sich das im Laufe der Jahre verändert? Welche Perspektivwechsel oder neuen Einsichten haben zu entscheidenden Wendepunkten beigetragen?

Als ich mit der Trompete angefangen habe, mit 13, kurz danach schon, konnte ich in Bands mitspielen. Das war ganz was anderes, als Klavier zu spielen, was ich vorher immer alleine gemacht habe. Sobald ich die Trompete hatte, war ich vielfach unterwegs in ganz unterschiedlichen stilistischen Bereichen und kam dann auch mit dem Jazz in Berührung, mit eigenen Improvisationen. Das hat mir total Spaß gemacht. Da habe ich sozusagen Freiheit geschnuppert und fand das mindestens so spannend wie Klassik oder sonstige Sachen, die ich gespielt habe mit notierter Musik. Ich habe dann 25 Jahre mit meinem Vater musiziert, weltweit, bis 2001. Mit ihm habe ich diesen ganzen Bereich kennengelernt von äußerst komplizierter, fordernder, aber auch erfüllender zeitgenössischer Musik. Es war eine sehr gute Schule.

Dann habe ich aber entschieden, mich von ihm zu lösen. Im Jahr 2001, das war in derselben Woche wie 9/11. Weil ich mich mehr konzentrieren wollte auf mein eigenes schöpferisches Tun. Das andere war für mich doch oft ähnlich, es hat sich wiederholt in den Abläufen, in der Stilistik und ich war neugierig zu sehen, was steckt noch mehr in mir? Das war die schwerste Entscheidung meines Lebens 2001, mich zu lösen von meinem Vater. Aber es war die richtige Entscheidung. Sie hat viele Räume geöffnet, auch für mich als Komponisten.


Du sagst, es war die schwerste Entscheidung deines Lebens. Gab es damals einen entscheidenden Moment? Einen Schlüsselmoment, in dem du gedacht hast, jetzt ist die Zeit reif, diesen Schritt zu gehen?

Ja, absolut. Das Gefühl schwoll an, dass ich eine Veränderung suchte. Und das hat zu dieser Entscheidung geführt, mich von meinem Vater zu trennen. Später hörte ich auch auf, Klassik zu spielen, kurz danach eigentlich. Weil ich auch da merkte, das wiederholt sich, das können andere auch. Meine Aufgaben liegen in anderen Bereichen. Ich habe auch keine Professur oder eine feste Lehrstelle irgendwo angenommen, weil ich spürte, es würde mich eingrenzen. Mir waren die Freiheit und das Erforschen und auch das Nichtwissen wichtig: Wo geht es hin? Mich dem auszuliefern, das war für mich die größere Herausforderung, als mich irgendwo mit Sicherheit zu versorgen.


Gab es solche Veränderungen, Perspektivwechsel nochmal?

Perspektivwechsel gibt es aber dauernd, auch in der Musik. Je nachdem, mit wem man spielt. Ich habe mit ganz unterschiedlichen tollen Leuten zusammengespielt. Im Jazzbereich, die mir immer wieder neue Perspektiven ermöglicht haben. Und ich habe mich hineingeschmissen, in Kompositionen, auch in die Zusammenarbeit mit Orchestern. Ich wollte wissen, wie geht das, wenn ich für größere Ensembles komponiere. 2008 habe ich z.B. ein großes Stück geschrieben für Big Band, Streichorchester und Solisten, „Tanzendes Licht“, heißt es. Das war für mich eine große Herausforderung, auch eine irre Freude, das zu machen.


Deine Musik ist sehr besonders. Sehr anders. Sie berührt. Wie hast du das geschafft, diese einmalige Musik zu entwickeln?

Ganz bei mir bleiben. Das erschaffen, was ich mir wünsche zu hören, was vielleicht noch niemand so gemacht hat. Ein Freund von mir, der norwegischer Bassist Arild Andersen, sagte immer, wenn ihn Schüler fragen, wie das geht, improvisieren: „Don't think - just concentrate.“ Und so ist es wirklich. Wenn man sich konzentriert auf eine Aufgabe, dann hat man ja konkret mit etwas zu tun. Man dringt ein in die Tiefe einer Sache. Und die konzentrierte Suche führt unweigerlich zum Finden. Was ist der nächste Klang? Was höre ich innerlich als nächsten Ton? Und dieses Spüren ist nicht nur ein abgekapseltes Spüren, sondern unweigerlich ist man ja verbunden mit den Menschen, die da gerade da sind, oder mit dem Raum, oder mit vielen Energien, die gerade in diesem Moment da sind – ja eigentlich ist man mit dem ganzen Kosmos verbunden. Und das ist für mich das Wesentliche in der intuitiven Musik: Dass sie eine Kunst ist, die in höchstem Maße mit der Jetztsituation zu tun hat. In dem Sinne eine absolute Jetztkunst, eine wirklich zeitgenössische Musik, eine authentische Musik. Und da geht es um’s Spüren, in sich Hineinspüren, den Ball flach halten, sich nicht selbst wichtig nehmen, sondern einfach hören und spielen.


Aber auch das Spüren, das Improvisieren, muss man üben?

Genau. Man trainiert diese Sachen. Man trainiert das Improvisieren selbstverständlich auch. Aber man gewöhnt sich an dieses „Ach, so geht es.“ Eine große Herausfoderung war mein erstes Solo-Konzert in der Maternuskirche in Köln, bei dem ich mir vorgenommen hatte ein ganzes Konzert alleine zu spielen. Da war ich vorher ziemlich aufgeregt. Aber sobald ich spielte, merkte ich: „Ach, es geht, es ist ja gar nicht so schwer, es klingt so schön, und ich kann machen, was ich will.“ Weil, ich brauchte ja immer nur den nächsten Ton zu spielen. Ich musste ja nicht schon den übernächsten kennen. Und das ist im Grunde genommen eine spirituelle Weisheit, die ich da sehr praktisch lernte. Wir wollen oft wissen, wie geht mein Leben weiter, wie wird sich alles entwickeln, und wo habe ich meine Sicherheit? Dann baut man sich 1000 Sicherheiten, die einen aber nachher wieder einengen. Es reicht, wenn wir den nächsten Schritt wissen – und auch ihn gehen. Und der führt uns dann zum übernächsten.


Neben deinem Vater – gibt es Menschen, die dich musikalisch besonders geprägt haben?

Ja, viele. Die Initialprägung war mein Vater, der übrigens auch den Begriff der intuitiven Musik erfunden und damit diese Freiheit benannt hat. Und ausgeübt hat auf seine Weise mit Textstücken, mit seinen damaligen Musikern, die davor noch nie improvisiert hatten. Das waren klassisch oder zeitgenössisch ausgebildete Musiker. Aber auch andere Freaks, mit denen er zusammengearbeitet hat, die mehr experimentell unterwegs waren. Er hat immer lustige Kombinationen von Musikern gefunden. Mein Vater war sicherlich die größte Inspiration.

Aber dann begegnete ich auch vielen anderen für mich wichtigen Musikern und Menschen. Im spirituellen Bereich war Frank Duval ein wichtiger Lehrer von mir, der Musiker war (und ist), aber auch ein spiritueller Lehrer. Es hat viele Filme gemacht und Musik sowieso.

Auch Miles Davis hat mich mit seiner Musik stark inspiriert. „In A Silent Way“. Andere Trompeter auch, wie Freddie Hubbard, Kenny Wheeler und Palle Mikkelborg. Oder ein ganz großer indischer Musiker, der Bansurispieler Hariprasad Chaurasia. (Bansuri ist eine sechslöchrige Bambusflöte.) Nur durch’s Hören konnte ich seine Seele spüren und damit hineinfühlen in eine Weite, die sich durch ihn für mich auftat. Wenn jemand so eine Ruhe ausstrahlen kann wie er, dann muss dahinter eine große Seele sein. Das zog mich an. Es gab aber auch große Interpreten klassischer Musik. Zum Beispiel hat mich der Pianist Alfred Brendel immer fasziniert, mit welcher Disziplin und Schönheit er musizieren konnte.


Wie kann Musik für Menschen hilfreich sein. Vielleicht auch jeden Tag?

Einerseits dass man Musik hört, die einem gut gefällt, die einem gut tut. Das ist sicherlich auch einfach ein Entspannungsmoment oder bringt einen mit anderen Energien in Berührung, öffnet, weitet das Bewusstsein. Jeder Komponist, der sich etwas ausgedacht hat, hat ja bestimmte Inspirationen, die dahinterstehen, die sich über die Musik ausdrücken.

Oder das eigene Singen und Musizieren, auch wenn es vielleicht nicht superprofessionell ist. Ob das jetzt Lieder sind oder ein einfaches Tönen zuhause. Vielleicht hält man sich mal irgendwo auf, wo es schön klingt. Im Treppenhaus, im berühmten Badezimmer oder in der Küche. Oder man kann auch mit seiner Stimme oder mit Instrumenten in Räume zu gehen, die besonders schön klingen, wie Kirchen, auch wenn man nicht so viel kann. Das ist egal. Wir wissen ja, dass unser Körper zu 70-80 % aus Wasser besteht. Und Wasser ist ein hochsensibles Medium, das sofort Informationen aufnimmt. Das heißt, schon unmittelbar beim Hören, ja schon bei der Berührung mit Klängen verändert sich etwas in mir. Schwingungen übertragen sich automatisch. Das ist das Wunderbare bei Musik. Das hat nichts mit Denken zu tun. Wir erleben sofort etwas, weil Klang sofort unseren Körper, das Wasser in ihm, aber auch alle anderen Substanzen moduliert, und letztlich auch unsere Seele – unser inneres Wesen.


Zum Schluss eines Interviews frage ich gerne nach einem Tipp. Was könnten Menschen tun, um zum Beispiel in einer angespannten, schwierigen Situation zur Ruhe zu kommen?

Ja, es gibt ja Situationen, in denen wir verwirrt sind. Zu viele Anforderungen, schwierige Entscheidungen oder emotionale, totale Belastungen. Weil gerade Stress ist oder Streit. Dann zu tönen, einfach ein „A“ ein „Aum“, ein „Hom“. Oder eigene Silben beim Singen erfinden, die keinen Sinn machen zunächst, die uns aber so ganz leicht über die Lippen kommen. Dass sich Energie entladen kann. Ich bin sicher, wenn wir zehn Minuten tönen, relativieren sich wieder alle Probleme. Weil ich mich selber spüren kann beim Tönen. Erst zittere ich vielleicht und ich bin noch ganz im Denken oder in der Erregung der Gefühle. Aber nach einer Weile beruhige ich mich, komme zu mir. Ich töne weiter. Immer wieder verschiedene Töne. Oder denselben Ton. Oder eine kleine Melodie, ein Lied.... was auch immer. Und ich spüre mich wieder. Ich komme wieder zu mir. Ich finde wieder mich. Weil das Singen, das Tönen, ja auch eine ganz körperliche Erfahrung ist. Hineinspüren. Einen Moment innehalten. Nichts sonst machen. Nachwirken lassen. Tief Luft holen. Ja, und so ist das Tönen ein wunderbarer Weg, um wieder rauszukommen aus dieser Falle. Aus der emotionalen oder der mentalen Falle, in die ich gerade reingeraten bin, wo sich alles zu eng dreht. Es ist nicht kompliziert.


Danke. Danke, lieber Markus, für dieses wunderbare Gespräch. Ich glaube, ich werde Musik wieder ein bisschen mehr in mein Leben lassen. Und genauer hinhören auch. Auf das achten, was dann mit mir passiert.

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Markus Stockhausen studierte Trompete und Klavier und tritt seit 45 Jahren als international bekannter Solist auf. 25 Jahre konzertierte er mit seinem Vater, dem Komponisten Karlheinz Stockhausen. Markus komponierte für namhafte Orchester und Ensembles. Heute spielt er mit eigenen Ensembles im Bereich Jazz und Intuitive Musik. Sein Kurs „Kreatives Singen, Musizieren und Stille“ ist seit vielen Jahren Teil unseres Programms.
 

Das Interview mit Markus Stockhausen führte Katharina Bertulat im Januar 2025.

 

Aktuelle Kurse bei uns am Alanus Werkhaus

09.03.2025 Kreatives Singen, Musizieren und Stille (1)

14.09.2025 Kreatives Singen, Musizieren und Stille (2)

 

www.markusstockhausen.de  

www.singen-und-stille.de

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