Ein Rückblick auf "Alles außer Tiernahrung – Künstliche Dialoge #1"

In unserer Jubiläumsausstellung 20!23 zu unserem 20-jährigen Werkhaus-Jubiläum zeigten wir die Kunst unserer Dozierenden. Bei der ersten Schau trafen Werke des Malers Axel Plöger, des Bildhauers Sven Rünger und der Künstlerin Wulpekular Schneider aufeinander.

Alles außer Tiernahrung – Künstliche Dialoge #1

Zum Teil seit vielen Jahren, zum Teil relativ frisch dabei, begleiten unsere Dozierende als Lehrende mit großem Fachwissen und reichem Erfahrungsschatz unsere Kurse. Ohne sie gäbe es unser vielfältiges und facettenreiches Programm nicht. In ihrer Rolle als Künstlerinnen und Künstler treten sie dabei aber selten auf. Das wollten wir ändern und ließen in einer Ausstellungsreihe anlässlich unseres 20-jährigen Jubiläums ihre Kunstwerke miteinander in Dialog treten.

Die Gegenüberstellung der drei künstlerischen Positionen bei der ersten Ausstellung war vieles: verstärkend, irritierend, kontrastiv, verbindend, überlagernd, befreiend ­– und künstlich sowieso, denn arrangiert war diese künstlerische Begegnung von uns ja ohnehin. Sie war eben Alles – alles außer Tiernahrung natürlich, wie wir mit einem Augenzwinkern feststellen mussten. 

Aber was macht das mit der Kunst? Verengen wir durch die institutionelle Setzung die Möglichkeiten? Oder ist es nicht gerade das, was Kunstbetrachtung besonders spannend macht: Die Begegnung, die Konfrontation, das Aufeinandertreffen – mit den Werken, den Kunstschaffenden und uns selbst?

 

 

Stellen Sie sich vor der Figur „Späher“ von Sven Rünger, bemerken Sie schnell, dass Sie die Skulptur nicht nur einfach betrachten. Wir begegnen ihr. Der kalte unbelebte Stein scheint sich vor unseren Augen in ein lebendiges – wie der Künstler es nennt – Wesen zu verwandeln. Die glatte Oberfläche umspannt die prallen Formen wie eine Haut. Der transluzide Charakter des Steins, der das auftreffende Licht sanft bricht, sorgt für Wärme und Lebendigkeit.

Die einfache reduzierte Formensprache ist entscheidend für die Präsenz der Figur im Raum, für die Stärke, die sie ausstrahlt. Sie harrt aus und ist da. Sie spürt in den Raum und wartet auf Resonanz. Aus einem zentralen Körper erwachsen Glieder, meist – wie auch hier – paarweise. Doch sind es keine benennbaren Gliedmaßen – keine Arme oder Beine – sondern runde organische Formen. Sie sind nicht mehr als eine Erinnerung an Bekanntes, nicht mehr als eine Ahnung. Die Begegnung ist ein „fast wie“. So findet die Realität Eingang in Sven Rüngers Werk, ohne dass er sie abbilden würde.

Wir treten also ein in einen Prozess des Vergleichens und Deutens. Wir versuchen zu verstehen, zu begreifen, indem wir Bekanntes von Unbekanntem trennen und finden uns wieder, zurückgeworfen auf uns selbst, unsere Erfahrungen und unsere Wahrnehmung.

 

 

Stellt man nun das Papierobjekt "Papierstapel lose" der Künstlerin Wulpekula Schneider dem Werk Rüngers gegenüber, passiert Erstaunliches. Ungerahmt tritt es von der Wand hervor. Es ist fragil und „rough“ zugleich. Bestehend aus gefalteten Papieren, die die Künstlerin in Stapeln bündelt, entstehen farbige Cluster, die sich wiederum stehend und liegend zu einem Bild zusammenfügen. Dabei verwendet sie keine gekauften Papiere, sondern alles an Verpackungs- und Werbemitteln, was ihr begegnet. Manchmal wartet sie Wochen auf ein bestimmtes Blau oder Pink. Dieser Kontrast zwischen dem Überfluss und der allgegenwärtigen Verfügbarkeit in unserer heutigen Welt und dem Fehlen am tatsächlichen Bedarf ist von der Künstlerin bewusst gewählt.

Die zerklüfteten Oberflächen scheinen ein Eigenleben zu führen. Als sei das Material nur begrenzt zu bändigen. „Papier ist ein Teufelszeug“ hat die Künstlerin einmal gesagt – dass sie aber durchaus in der Lage ist, das Material zu beherrschen, zeigen ihre früheren Arbeiten: diese sind noch fein geschichtet und säuberlich gerahmt.

Ursprünglich von der Farbfeldmalerei kommend, übersetzt Wulpekula bereits seit einigen Jahren ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Waagerechten und Senkrechten, mit farbigen Flächen, in den Werkstoff Papier und in die räumliche Dimension. Ihre Entwicklung hinzu mehr Freiheit und Plastizität ist deutlich erkennbar.

 

 

Mit Farbschichten arbeitet auch Axel Plöger. Auf seinem Werk Lago Agrio von 2014 verwendet der Maler verschiedene Nuancen: Grün, Blau, Braun- und Lilatöne und Schwarz. Wenn wir genau hinschauen auch Rot, Gelb, Orange und Pink. Die Schichten überlagern sich in verschiedenen Strukturen, Teile geraten buchstäblich in den Hintergrund und schimmern nur noch unter der Oberfläche hervor. Seine Bilder entstehen häufig über einen längeren Zeitraum. Manchmal über Jahre. Schicht um Schicht wird vom Künstler aufgetragen. Die Farbe wird gestrichelt, im lavierenden Farbauftrag auf den Bildträger gebracht, gewischt, getupft, geschabt. Schauen Sie, wie sich ein schwarzes Gitter vor ein mit kräftigem Duktus aufgetragenes Grün schiebt und dann selbst wiederum von einem zarten, grünen Farbschleier überlagert wird. Lila blitzt an einigen Stellen hervor.

Strukturiert und gezielt scheint der hellgrüne Pinselstrich. An anderer Stelle läuft die verdünnte Farbe über das Papier. Gesteuert vom Zufall. Was Axel Plöger sucht, ist der Sound der Farbe, eine Kraft, die in den Raum hinausstrahlt. Übermalen ist dabei für den Künstler ein notwendiger Akt der Zerstörung, der Platz schafft für Neues. Die Schichten verdichten sich, wie er sagt, zu autobiographischen Ge-Schichten, dessen Vielschichtigkeit teilweise nur noch als Struktur an der Oberfläche wahrnehmbar ist. Und doch entsteht zwischen den einzelnen Schichten ein Innenraum, ein Rückzugsort des Künstlers, ein Innenbild.

Kunstwerke fungieren mitunter wie ein Fernrohr oder eine Lupe. Sie lenken unseren Blick, sie nehmen bestimmte Dinge in Augenschein und sie führen immer wieder zur Auseinandersetzung mit uns selbst. Oder wie der Journalist und Kunstkritiker Kolja Reichert es letztens formuliert hat: „Kunstwerke haben eine Rückstoßwirkung: Wenn man sie anschaut, sieht man immer auch, wie man sie anschaut.“ 

Das Ganze verdichtet sich, wenn man mehrere Kunstwerke der verschiedenen Künstler:innen sprechen lässt. Auf den ersten Blick scheinen die Arbeiten wenig gemein zu haben. Ins Auge fallen vor allem die Unterschiede. Die eine Arbeit, ein dreidimensionales Werk im Raum, die andere bildflächenparallele Malerei, die dritte eine Art Relief. Monochromer, fester Stein trifft auf flüssige Farbe und farbiges, weiches Papier.

Ist es nicht erstaunlich, wie wir unmittelbar assoziative Verbindungen erleben? Der Sound der Farbe und der Klang der Steine scheinen sich zu treffen und miteinander zu kommunizieren. So wie Sven Rüngers Wesen in den Raum hineinfühlen, eröffnen Axel Plögers Schichten Farbräume, die hervortreten. Ihre Strukturen, ihre Kompositionen aus Waagerechten und Senkrechten korrespondieren mit Wulpekula Schneiders Arbeiten. Plötzlich sehen wir Dinge, die wir ohne diesen Dialog vielleicht nicht gesehen hätten.
Und das ist es, was seit 20 Jahren hier am Werkhaus geschieht: Mit Kunst eröffnen wir neue Perspektiven!

 

Ein Text von Dr. Lena Selge

 


Austellende Künstler:innen aller Ausstellungen der Jubiläumsreihe waren:

Sonja Simone Albert // Ina Busch // Angelika Kehlenbach // Anne von Hoyningen-Huene // Axel Plöger // Elisabeth Reichegger // Sven Rünger // Wulpekula Schneider

 

Die drei Ausstellungen waren zu folgenden Terminen zu sehen:

25.03. – 21.05.2023 (Vernissage, 25.03.2023, 18:00 Uhr) 
Axel Plöger + Sven Rünger + Wulpekula Schneider

03.06. – 06.08.2023 (Vernissage, 03.06.2023, 19:00 Uhr) 
Sonja Simone Albert + Elisabeth Reichegger

19.08. – 22.10.2023 (Vernissage, 19.08.2023, 18:00 Uhr + Finissage, 22.10.2023) 
Angelika Kehlenbach + Ina Busch + Anne von Hoyningen-Huene

 

Kuratiert von unseren Bildungsreferent:innen Martin Mohr und Dr. Lena Selge

 

 

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