Gläserne Fassaden, Fenster, Ausblicke, Durchblicke, Spiegelungen und Videokameras – immer wieder thematisiert Tobias Stutz in seinen Bildern das Schauen. Doch was man genau sieht, wenn man auf die mit Leinwand bespannten Holztafeln blickt, bleibt im Vagen.
Zentral an der Eingangswand im Foyer des Alanus Werkhauses hängt das Bild „Landscapebox IV“ (2023). Die shaped canvas – also eine Leinwand, die das traditionell rechtwinklige Format aufgibt – zeigt einen Betonkubus, der sich durch eine Übereckverglasung nach hinten in den Bildraum öffnet. Die Raumsituation und Größenverhältnisse sind unklar.
Blicken wir in einen Raum, dessen vorderen Grenzen angeschnitten sind? Stehen wir vor diesem Raum, wie vor einem architektonischen Modell? Oder befinden wir uns im eigentlichen Raum und haben eine großzügige Fensternische vor uns, die dazu einlädt dort auf Kissen sitzend nach draußen zu schauen – mit warmen Socken an den Füßen und einem Cappuccino in der Hand?
Auch der Ausblick bleibt ungewiss. In sanftes Licht getaucht überziehen zarte Streifen von Lachs, Rosa, Blau und Grün-grau den Horizont. Ob in der Ferne Berge oder Meer zu sehen sind, überlässt Stutz unserer Fantasie. Es ist ein eigentümliches Zusammenspiel von einer einfachen geometrischen Formgebung – viereckige Flächen, die sich gegeneinander schieben – einer kühlen Materialästhetik von Beton und Glas, der Abwesenheit alles Lebendigen und der weiten Unbestimmtheit des Ausblicks. Der daraus resultierende Kontrast evoziert eine moderne Sehnsuchtsästhetik – vorstellbar im Instagramfeed als besonders coole Urlaubslocation – und doch mit dem schalen Gefühl nicht anzukommen.
Dieses Gefühl kommt nicht von ungefähr. Die Lichtstimmung ist sehnsuchtsvoll. Reminiszenzen an Himmelschilderungen des romantischen Malers Caspar David Friedrichs wurden in der Literatur zu Stutz bereits bemerkt, ebenso wie direkte Motivzitate des „Eismeer“ oder des „Mönch am Meer“ (M. Bredenbeck, Tobias Stutz – Einblicke, Berlin 2020). Und doch fehlen die ikonischen Rückenfiguren des Romantikers mit ihrem Standpunkt in der Natur, die zur Einfühlung der Betrachtenden so wichtig sind. Der Kubus bei Stutz bleibt leer – Figuren kommen in seinen Bildern so gut wie nicht vor – stattdessen bestimmen gradlinige Strukturen den Bildraum. Unsere Position als Betrachtende ist unklar und verwirrend. Wir haben keinen richtigen Platz und gehen verloren.
In anderen Bildern widmet sich der Maler dem Fenster ausschnitthaft als Fassadenteil von außen. Öffnungen in Häuserecken oder Einschnitte in glatten Wänden, mal einzeln, mal im Rapport, mal mit, mal ohne Glas – wie der Rest der Gebäude aussieht, wohin das Fenster gehört, bleibt meistens völlig offen. Diese Ausschnitte von einzelnen Details suggerieren zunächst einen Fokus, der in die Tiefe der Bilder zu führen scheint. Doch diese Erwartung wird postwendend enttäuscht: Wir blicken in tiefes Schwarz, auf eine leere Zimmerdecke oder auf die Spiegelung des Glases. Ein Einblick wird uns konsequent verwehrt.
Damit negiert Tobias Stutz gleich zwei Konzepte, die sich kunsthistorisch mit dem Fenstermotiv verbinden: Zum einen führt er die Metapher Albertis von der finestra aperta (Della pittura, 1435/36) als Blick auf die Welt als doppeldeutig vor. Der Theoretiker hatte das Bild mit einem geöffneten Fenster verglichen, das einen sichtbaren Ausblick wiedergibt. Die perspektivische Anlage von Stutz Bildern trägt Albertis Forderung nach der mimetischen Funktion des Bildes als Abbild der Wirklichkeit durchaus noch Rechnung. Doch in der shaped canvas kündigt sich bereits der Bruch mit dem traditionell rechteckigen Bildformat mit zentralperspektivischen Raumkonzept an. Die Spiegelung oder der Blick ins Leere wirft uns vielmehr auf uns selbst zurück und betont den selbstreflexiven Gehalt der Bilder.
Dass nun die Sicht in die (Innen-)Welt der Räume ebenfalls verwehrt wird, macht, zum anderen, die anfangs bereits bemerkte Abkehr vom romantischen Sehnsuchtsmotivs des Fensterausblicks nochmals sehr deutlich. Denn auch ein Blick nach innen ist versperrt.
Stutz reiht sich damit in gute Gesellschaft. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts schweift der Blick „nicht in die Ferne, sondern er kehrt, vom spiegelnden Fenster zurückgeworfen, zum Ort der Aussendung zurück [...] Das Fenster in der Kunst der Moderne ist endgültig verschlossen" (Maria Müller-Schareck (Hg.): Fresh Widow. Fensterbilder seit Matisse und Duchamp, AK Düsseldorf, Ostfildern 2012, S. 11). Bei Duchamp, Christo & Jeanne-Claude sowie Gerhard Richter fehlt beispielsweise der Durchblick.
Die Funktion des Fensters als Durchblick ist auch bei Stutz aufgegeben. Wir sehen weder die Wirklichkeit auf der anderen Seite des Fensters als mimetische Perspektivkonstruktion, noch den Verweis auf eine außerbildliche, innere Realität des subjektiven Empfindens. Stattdessen lotet Tobias Stutz Grenzen und Möglichkeiten der bildlichen Darstellung aus.
Weniger überraschend – als es vielleicht zunächst den Anschein haben könnte – ist in diesem Zusammenhang, dass frühere Gemälde des Künstlers konstruktivistisch anmuten. Es sind ungegenständliche Bildanlagen, bei denen ein einfaches geometrisches Vokabular die Komposition beherrscht: Bilder, zusammengesetzt aus Farbflächen, Linien und geometrischen Grundformen. Vergleicht man sie mit den Fensterbildern sind sie diesen alles andere als unähnlich. Die Fenster überführen diese Überlegungen ins Gegenständliche und finden ihren Bezugspunkt in der sichtbaren Welt.
Tobias Stutz lebt und arbeitet als freischaffender Künstler in Bonn. Er studierte freie Malerei bei Prof. Ralph Fleck an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg (2005 – 2011) und verbrachte währenddessen ein Gastsemester an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest, Ungarn. 2013 schloss er sein Kunststudium mit einem Master of Arts an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft ab.
Am Alanus Werkhaus können Sie von Tobias Stutz den Umgang mit Ölfarben lernen. In seinem Kurs „Die Grundlagen der Ölmalerei“ erkunden Sie gemeinsam mit dem Künstler verschiedenen Facetten von Ölfarbe und tasten sich Schritt für Schritt an unterschiedliche Techniken der »Königsdisziplin« heran: von dünnen Schichten bis hin zu grober Spachteltechnik, von leuchtenden Farbpartien bis hin zu tiefdunklen Details.
Ein Text von Lena Selge
„Die Grundlagen der Ölmalerei – Wie Sie mit Ölfarbe Ihr Bild zum Leuchten bringen“
29.08. – 31.08.2025
Fr. 17:30 – 21:00, Sa. 09:00 – 18:00 und So. 09:00 – 14:00 Uhr