Starke Frauen fotografierst du sehr gerne, sagst du. Was schätzt du an starken Frauen?
Starke Frauen ruhen in sich selbst, brauchen wenig Bestätigung von außen, machen ihr Ding. Sie sind selbstreflektiert und nehmen selbstverständlich Raum ein.
Ich bewundere Menschen, die für eine Sache brennen, sich nicht abschütteln lassen und mit Leidenschaft und Ausdauer dranbleiben. Frauen, die sich einer Sache verschreiben, was bewegen wollen.
Gibt es eine starke Frau, die dich besonders beeindruckt?
Es gibt viele Frauen, die mich inspirieren. Die Sozialwissenschaftlerin und Autorin Brené Brown zum Beispiel. Mit viel Humor und entwaffnender Selbstironie erzählt sie z.B. in ihrem Ted Talk „The Power of Vulnerability“ über Scham, Verletzlichkeit und unser Bedürfnis nach Verbindung.
Aus meiner näherer Umgebung faszinieren mich immer wieder meine tollen Kolleginnen vom Familienhörbuch. Sie arbeiteten oftmals als Journalistinnen, engagieren sich ehrenamtlich, wie z.B. als Trauerbegleiterin bei Traube e.V.. Sie wirken dabei so mit sich im Reinen, können unglaublich gut zuhören und sind ehrlich interessiert.
Für ein Magazin durfte ich mal die wundervolle Georgine Kellermann porträtieren. Sie ist Reporterin beim WDR und Transfrau, die ihr Coming-out mit über 60 Jahren hatte. Obwohl sie besonders im Netz viel Hass und Hetze erfährt, schafft sie es immer wieder, sich auf das schöne Feedback zu fokussieren. Statt die negativen Kommentare ins Gewicht fallen zu lassen, freut sie sich lieber darüber, Menschen mit ihrem Beispiel zu inspirieren, ein freieres und selbstbestimmteres Leben zu führen.
„Einbettzimmer“, so hieß eine deiner preisgekrönten Ausstellungen. Es geht um Männer, die als Priester eine besondere Lebensentscheidung getroffen haben. Was hat dich während dieses Projektes am meisten überrascht?
Es gab ein Zimmer, also eine Wohnung, die war einfach miniklein. Das waren gefühlt 16 Quadratmeter. Er hat auf einem Sofa geschlafen, über dem ein Teppich hing, den ich eher auf den Boden legen würde. Und es gab andere, die hatten ganze Häuser und wahnsinnig viel Platz. Es war sehr unterschiedlich. Begeistert war ich besonders von diesem alten blauen Bauernbett und diesen ganzen kleinen Bildern an der Wand. Vielleicht war das fast so, wie man es erwarten würde und dann doch so ganz anders.
Ein großer Vertrauensbeweis, dass Menschen dir diese Einblicke geben.
Ja, darum ist es mir auch ganz wichtig, gerade bei der Einbettzimmer-Serie, dass es kein voyeuristischer Blick ist. Gerade, wenn ich in so private Räume eindringe, möchte ich sehr behutsam damit umgehen.
Seit einiger Zeit bist du auch Mediatorin und praktizierst in Köln und online. Wie bist du dahin gekommen und was hat deine Arbeit als Fotografin damit zu tun?
Schon vorher hatte ich das Gefühl, dass ich permanent Vermittlungsarbeit leiste. Ich gehe irgendwo hin, mir erzählt jemand etwas, ich stelle Rückfragen und gebe meine Perspektive an die Betrachterin oder den Betrachter wieder. Sei es in einem Magazin oder anderen Medien. Ich habe schon immer genau zuhören und verstehen müssen, um übersetzen zu können. Fotografie ist visuelle Übersetzungsarbeit. Als Porträtfotografin, was ich mittlerweile seit über 20 Jahre mache, lese ich Menschen, feinste Nuancen in der Mimik und der Körpersprache.
Es ist befreiend, in der Mediation verbalisieren zu dürfen, was ich wahrnehme. Ich habe das Mandat zu spiegeln und mit den Menschen herauszufinden, wodurch ihre Konflikte entstanden sind. Das mache ich z.B. über Mikrothesen.
Möchtest du diese beiden Kompetenzen noch stärker verknüpfen?
Es wäre schön, wenn die Fotografie noch mehr zum Einsatz kommen könnte, um bei Menschen die innere Arbeit voranzubringen. Für die unterschiedlichsten redaktionellen Porträts habe ich eine zeitlang Menschen mit Depressionen fotografiert. Dabei hatten wir viel Spaß miteinander. Das heißt nicht, dass ich glaube sie damit heilen zu können. Das wäre anmaßend. Aber sie konnten sich durch den Akt des Fotografiertwerdens anders selbst erfahren, sich durch meine Perspektive vielleicht neu oder anders betrachten. Sie können die Bühne genießen, die ich ihnen biete und bekommen die Schönheit zurückgespiegelt, die ich in ihnen sehe. Vielleicht bleibt davon ja was hängen.
Ich glaube, dass ganz viel, was beim Fotografieren passiert, das gleiche ist, was auch in der Mediation passiert. Ich widme den Menschen meine Zeit, mein Auge, mein Ohr. Es ist ein interessiertes und wohlwollendes Betrachten, was auch meiner Haltung als Fotografin entspricht.
Wo siehst du einen Unterschied zwischen deiner Arbeit als Mediatorin bzw. als Fotografin?
Manchmal bin ich in einer Mediation und denke „Wieso tust du dir das an?“ (lacht). Aber wenn sich dann was bewegt, ist das unglaublich sinnstiftend. Damit rechnen kann man aber nicht immer. Es ist eine andere Art von Erfolg in der Mediation. Teilweise ganz konträr zur Fotografie. Wenn ich als Fotografin am Ende des Tages kein Bild abliefere, habe ich meinen Job nicht gemacht. Wenn am Ende des Tages in der Mediation keine Lösung gefunden wurde, kann ich trotzdem eine gute Mediatorin gewesen sein. Weil es nicht meine Aufgabe ist, Vorschläge zu machen, sondern den Raum zu schaffen und die Menschen darin zu bestärken, ihre bestmöglichen Lösungen zu finden. Dafür müssen sie die Bereitschaft mitbringen, an sich zu arbeiten und Zeit ins Gelingen zu investieren.
Zusätzlich arbeitest du für das „Familienhörbuch“. Ein anspruchsvolles Projekt, bei dem es viel Einfühlungsvermögen braucht. [Anm. d. Red.: Im "Familienhörbuch" erzählen totkranke Eltern über ihr Leben und nehmen diese Geschichte auf – als Geschenk an ihre Kinder, das diese über den Tod des Elternteil hinaus bis ins Erwachsenenalter begleitet. Das Familienhörbuch finanziert sich ausschließlich über Spenden und ist für die Teilnehmer:innen kostenfrei. Sollten Sie Interesse haben mehr über dieses besondere Projekt zu erfahren und es zu unterstützen, klicken Sie hier.]
Man muss sich einlassen, Fragen stellen, die tief gehen, mit Menschen sprechen, deren Lebenserwartung voraussichtlich begrenzt ist. Das hat auch viel mit Schmerz zu tun und mit Trauer und Abschied. Wie bist du zu dieser Art Arbeit gekommen?
Ich denke gar nicht mehr so in Kategorien wie „Ich bin Fotografin“ oder „Ich bin Mediatorin“. Bei mir rufen unterschiedliche Dinge Resonanz hervor und die mach ich dann. Ein gemeinsamer Nenner dafür sind mein Menschenbild und meine Haltung, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen.
Bei den Aufnahmen für das Familienhörbuch bringe etwas mit, was viele im Umfeld der Projektteilnehmenden nicht mehr schaffen. Mitfühlen ohne mitzuleiden. Einfach weil ich nicht so nah dran bin. Dennoch möchte ich unmittelbar einen Raum schaffen, in dem sehr persönliche Gespräche möglich sind. Das gelingt mir zumeist, indem ich mich ebenfalls öffne und Dinge über mich teile. Das würden andere vielleicht nicht machen. Mir ist einfach wichtig, dass die Projektteilnehmenden sich direkt wohlfühlen und wir keine wertvolle Zeit verlieren. Gleichzeitig bin ich nicht nur für sie, sondern auch als Stellvertreterin für ihre Kinder da.
Was verbirgt sich hinter dieser Aufgabe Stellvertreterin zu sein?
Ich bin eine Art Filter für die Kinder. Nicht alles, was die Projektteilnehmenden erzählen möchten, ist auch für die Kinder gut zu hören. Oder es kommt stark auf die Art und Weise an, wie es erzählt wird. Meine Aufgabe ist es daher, die Projektteilnehmenden darin zu unterstützen, auszuwählen was wichtig ist oder wie sie davon sprechen. Da sind wir dann auch wieder ein bisschen bei der Mediation. Wie könnte eine Ausdrucksweise sein, wie adressiere ich ein Thema? Ich melde auch mal zurück: „Meinst du, wir brauchen das wirklich so da drin?“ Oder: „Ist das etwas, das du nur mir jetzt erzählen wolltest?“. Ich sage offen, wenn ich etwas rauslassen oder unbedingt noch mit reinnehmen würde. Manche bemerken gar nicht, wie bereichernd ihre Erfahrungen sind. Wie eine Regisseurin trage ich dazu bei, dass es ein großes, wertvolles Gesamtergebnis ergibt.
Sicherlich nicht immer eine einfache Situation?
Während der Aufnahmen komme ich erstaunlich gut damit klar. Allerdings bin ich auch über jeden Tag froh, den wir produzieren können. Es kam schon vor, dass ein Projektteilnehmender kurz darauf gestorben ist. Das war im Vorhinein leider schon absehbar. Bei mir hat das extremen Zeitdruck ausgelöst. Ich dachte, ich muss alles mitnehmen. Im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ich selbst in solchen Situationen mehr Ruhe reinbringen möchte, um abwägen und priorisieren zu können.
Zugegeben: Wenn Projektteilnehmende versterben, haut mich das ganz schön um. Auch wenn das paradox klingt, in dem Moment kann sich das anfühlen, als wäre ein nahestehender Mensch gestorben. Immerhin war unser Kennenlernen wie in Zeitraffer. In kürzester Zeit lerne ich die Menschen sehr intensiv kennen. Da sind dann auch Begegnungen dabei, die mich sehr berühren. Selbst wenn die gemeinsame Zeit verhältnismäßig kurz ist, gönne ich mir, diese starken Gefühle dann zuzulassen. Egal wie „unlogisch“ mir das vorkommen mag, dass sie jetzt da sind. Es ist meiner Meinung nach eben ein Zeichen, dass ich einen besonderen Menschen getroffen habe, der oder die mein Herz berührt hat. Und das ist ja auch echt etwas Schönes!
Wir haben übrigens auch die Möglichkeit, mit Psychologinnen zu sprechen, die dem Projekt ehrenamtlich zur Verfügung stehen. Der Austausch mit anderen Audiobiograf:innen zum Umgang in solchen Situationen kann auch sehr hilfreich sein.
Wie erlebst du dieses Berührtsein?
Ich lerne unglaublich viel von den Projektteilnehmenden, z.B. welche mutigen Wege sie eingeschlagen haben oder wie sie mit Krisen in ihrem Leben umgegangen sind. Genau das möchte ich ja auch für ihre Kinder festhalten.
Manchmal komme ich mir egoistisch vor, wenn ich sage, dass mir die Aufnahmen auch guttun. Du verbringst eben keine fünf Minuten mit Smalltalk. Du gehst direkt richtig tief. Worüber wir sprechen, ist das worum es im Leben geht. Es sind Reminder, nichts schleifen zu lassen. Es zeigt mir immer wieder, was wichtig ist. Das ist so elementar und bestärkt mich immer wieder meinen Weg zu gehen. Oder ihn wiederzufinden, wenn ich mal vom Pfad abgekommen bin und unwichtigere Dinge zu wichtig nehme.
Verbindest du die Gespräche auch mit deiner Arbeit als Fotografin?
Bisher habe ich alle porträtieren dürfen. In erster Linie sind die Bilder für das Cover ihres digitalen Familienhörbuchs. Zusätzlich schenke ich ihnen und ihrer Familie die Porträts. Es hat mich sehr bewegt, als bei einer der Trauerfeiern mein Bild groß gedruckt aufgestellt war und die Trauerkarte zierte. Das hat mich unglaublich stolz gemacht, das noch mitgeben zu können. Zusätzlich. Die Familien sind insgesamt eh schon sehr dankbar für die Aufnahmen. Uns begegnet da sehr viel Wertschätzung. Auch von den Projektteilnehmenden, die sich manches noch so von der Seele reden konnten. Die meisten Bilder darf ich auch für meine künstlerische Arbeit verwenden. Für die Öffentlichkeitsarbeit des Familienhörbuchs wurden uns auch viele freigegeben. Ich kann mir vorstellen, irgendwann mal eine Serie daraus zusammenzustellen. Muss aber auch nicht zwingend sein.
Was sind die wichtigsten Botschaften, die die Menschen in den Interviews zum Familienhörbuch dir mitgeben? Gibt es da eine Essenz, aus all dem, was du schon gehört hast?
Ich habe vor kurzem ein Hörbuch produziert, da werde ich, glaube ich, noch öfter reinhören. Es war wie eine Masterclass in Gelassenheit. Egal, was das Leben ihr hinwarf, und das waren aus meiner Perspektive teilweise ganz schöne Brocken, konnte sie genau so annehmen. Von Details kann ich nicht erzählen, aber ich war einfach unglaublich fasziniert von ihrer Haltung. Worin sie Dankbarkeit findet oder wie sie daran wachsen kann. Das wünsche ich mir auch für mich. Statt an Schicksalsschlägen zu zerbrechen, im Gegenteil sagen „Ja so ist das jetzt, damit werde ich umgehen“ und den Humor selbst in den düstersten Zeiten nicht verlieren.
Wir lachen auch gerne miteinander. Ich bringe viel Ulkigkeit mit, um die Situation aufzulockern. Das braucht es aber gar nicht immer. Im Endeffekt hab ich ja eine großartige Aufgabe: nach den schönsten Perlen im Leben zu tauchen! Gleichzeitig geht es darum, all seine Facetten zu zeigen und den Kindern vorzuleben, dass schwere Zeiten und Krisen zum Leben dazugehören. Man kann so viel von ihnen lernen. Diesen Blick darauf möchte ich immer wieder mitnehmen.
Die Essenz, war deine Frage: So eine Krankheit zeigt einem ja auch die Wahrheit auf! So oder ähnlich hat es mal jemand beschrieben. Sie zeigt auf, wer oder was wichtig ist. Und was nicht. Sie spült alles weg wie ein Tsunami. Nur das, was fest verankert ist, bleibt übrig. Oder sie stellt einfach alles auf den Kopf und sorgt dafür, dass man die Welt aus einer neuen Perspektive betrachten kann.
Es geht daher auch immer wieder stark um Beziehungen. Die, die man wieder aufnimmt, weil man nicht mehr viel Zeit hat. Über die Differenzen hinweg, weil sie plötzlich unwichtig erscheinen. Sich doch noch aussprechen, weil man es sich eben nicht mehr leisten kann, den Groll ein Leben lang mit sich herumzutragen. Die Dinge noch klären. Da sind wir dann wieder bei der Mediation.
In einem deiner Kurse geht es darum, wie Führungskräfte gut mit Konflikten umgehen. Im anderen Kurs geht es darum, wie Menschen mit Trauer umgehen. Was verbindet diese Themen?
Ich glaube, es geht um das Zulassen und Aushalten von starken Gefühlen. In Konflikten kommen, egal auf welcher Seite, oftmals viele unterschiedliche Emotionen hoch. Vielleicht entdeckt die Führungskraft starke Reaktionen darauf, dass etwas nicht umgesetzt oder Erwartungen nicht erfüllt werden. Eventuell entstehen Missverständnisse auf Seiten der Mitarbeitenden.
Dann geht es darum, wahrzunehmen und zu akzeptieren: das ist jetzt erst mal da. Wie können wir konstruktiv damit umgehen? Was bringe ich als Führungskraft gerade in die Thematik mit? Wie hoch ist mein Stresslevel derzeit? Zugverspätung, ausreichend gegessen? Oder andere Themen privat, die meine Zündschnur kürzer ausfallen lassen? Gleichzeitig, wie kann ich zuhören ohne zu bewerten, was der/die andere mir sagen möchte? Selbst wenn es vorwurfsvoll ausgedrückt wird. Wie kann ich eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, die es den Mitarbeitenden ermöglicht, Themen anzusprechen und wie gelingt es mir respektvolle Rückfragen zu stellen, um zum Kern vorzudringen?
Bei Verlust und Trauer empfinde ich es ähnlich. Wir haben eine Tendenz in unserer Gesellschaft, starke Gefühle zu tabuisieren oder als negativ abzustempeln. „Die müssen schnellstens bearbeitet werden und dann weg damit!“ Es geht darum, diesen Raum wirklich zu halten. Das ist eben genau das, was ich beim Familienhörbuch mache. Die Menschen fangen oft an zu weinen und entschuldigen sich dann dafür. Ich frage dann: Wofür? Natürlich hast du jetzt gerade so viele Emotionen. Das ist doch vollkommen normal. Das ist ja auch ein Trauerprozess. Abschiede sind schwer. Bei Menschen, die jemanden verloren haben, fände ich das total schlimm, wenn man sagt, „So, das muss jetzt rum sein!“ Damit negiert man, wie wichtig dieser Mensch einem war. Ich empfinde Trauer als rückwärtsgewandte Liebe. Man empfindet zum Beispiel viel Trauer, weil ein Mensch einen mit seiner/ihrer Liebe sehr erfüllt hat, seinem Wesen und allem, was dazugehört. Diese Lücke kann nur entstehen, wenn vorher ganz viel Verbindung da war und man eine Beziehung miteinander geteilt hat. Oder eben, weil man sich die immer gewünscht hat und es nicht dazu kam. Egal welcher Art. Trauer ist eine Art der Würdigung dieser Resonanz. Wenn man es für sich schafft, das umzudrehen und zu sagen, das hat seine Berechtigung und ich gebe mir jetzt diese Zeit, kann man meiner Meinung nach damit einen neuen und positiveren Umgang finden.
Was kann ich bestenfalls mitnehmen, wenn ich diesen Kurs Trauer und Verlust bei dir mitmache? Als betroffene Person?
Trauer kommt in Wellen. Ein Gefühl kann gar nicht permanent gleich intensiv sein. Wenn es kommt, hilft mir zum Beispiel das Bild, wie sich an einer Stange in der Straßenbahn festhalten, wenn es ruckelig wird. Bis die Welle durch ist. Eine Emotion bleibt zumeist dann schwelend stark, wenn wir versuchen sie zu unterdrücken. Trauer ist etwas Natürliches. Menschen sind dafür gemacht, dies zu überstehen. Sie bringen alles dafür mit. Sie kann erst dann mit der Zeit abebben, wenn wir sie zulassen.
Zum Schluss – hast du einen Mini-Tipp für Menschen, die gerade in einem Konflikt feststecken und nicht wissen, wie sie da rauskommen? Einen Tipp für einen ersten Schritt vielleicht?
Ich bin großer Fan der GfK, der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Oder wie ich sie lieber nenne: die lösungsorientierte Kommunikation. Ihr Ziel besteht darin: Erstens, beobachten, was nehme ich gerade wahr und beschreiben ohne zu bewerten. Konkret beschreiben ohne eigene Interpretation. Zweitens, was macht das mit mir? Welche Auswirkungen hat das auf mich, was löst das bei mir aus? Diese Gefühle am besten in Ich-Botschaften benennen. Drittens, welches Bedürfnis liegt dem Gefühl zugrunde? Viertens, was brauche ich gerade? Das mit einer konkreten Bitte zum Ausdruck bringen.
Diese Prinzipien helfen klar und respektvoll miteinander zu kommunizieren, man braucht aber auch etwas Übung dafür. Daher der leichtere Tipp (natürlich in Konfliktsituationen ebenfalls herausfordernd): Empathisch Zuhören. Zuhören um zu verstehen, nicht um zu antworten. Mir hilft da das Bild der Forscherbrille. Mit dieser Forscherbrille auf der Nase, möchte ich an dieser Stelle noch ein kleines Experiment empfehlen. Das sollte unbedingt vorher transparent gemacht werden, damit sich das Gegenüber ernstgenommen fühlt. Person A bekommt fünf Minuten Zeit, um ihre Sichtweise zu teilen. Idealerweise ist das nicht die Person, die die Methode vorschlägt. Person B hört ausschließlich zu und kann Rückfragen für ein besseres Verständnis stellen. Fasst das Gesagte also immer wieder zusammen und spiegelt es zurück. „Hab ich das so richtig verstanden?“. Danach hat Person B fünf Minuten Zeit, um ihre/seine Perspektive darzustellen und Person A hört aktiv zu. Viel zu oft warten wir nur ab, um reinzugrätschen und die Sichtweise des anderen zu entkräftigen. Diese Methode nimmt die Schnelligkeit aus einer hitzigen Diskussion und gibt der Ratio Zeit, den feuernden Gefühlen hinterherzukommen. Sie sorgt damit gleichzeitig für mehr Verstehen und Verständnis.
Liebe Selina, ich danke dir für dieses berührende Gespräch.
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Das Interview mit Selina Pfrüner führte Katharina Bertulat.
Unsere Kurse mit Selina Pfrüner:
06.09.2024–07.09.2024
Konfliktmanagement für Führungskräfte
06.12.2024–08.12.2024
Verlust und Trauer künstlerisch bearbeiten