„Das, was zwischen mir und den Menschen passiert, das ist Kunst“ – Im Gespräch mit Angelika Kehlenbach

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Angelika Kehlenbach ist Malerin und Bildhauerin und unterrichtet seit fast 10 Jahren unterschiedliche Formate und Themen am Alanus Werkhaus. Ihre Kurse sind immer ausgebucht. Was ihre Arbeit ausmacht und warum die Menschen so gerne ihre Kurse besuchen, erfahren Sie in diesem Interview.

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„Das, was zwischen mir und den Menschen passiert, das ist Kunst“. Das steht in deinem Werkhausprofil. Was ist das, was da entsteht?

Ich verstehe den Akt des Vermittelns als künstlerischen Prozess. Das, was zwischen mir und dem jeweiligen Gegenüber passiert. Kunst kann man nicht vermitteln. Ich vermittle nichts. Ich gebe meinem Gegenüber vielleicht ein paar formale Richtlinien, aber letztendlich geht es ja um ihn und sein Anliegen und das ist ein gegenseitiges Miteinander. Es ist ein Raum, den man zusammen betritt und den man gemeinsam gestaltet. Und ich bin wie eine Hebamme, um meinem Gegenüber zu helfen oder zu begleiten. Insofern habe ich es ganz oft als einen ähnlichen Dialog empfunden, wie den, den ich mit meinem entstehenden Werk habe.
 

Das heißt, für dich ist Kunst gleichsam der künstlerische Prozess?

Ja, schon sehr. Der Prozess ist extrem wichtig, ja.
 

Und weniger das, was entsteht.

Nicht unbedingt weniger. Wenn ich ein Bild male, ist natürlich das Bild am Ende das Wichtige. Aber da ich ja meistens alle meine Motivationen, Kunst zu schaffen, sozusagen aus meinem eigenen Lebensbezug nehme, hat ganz viel mit mir zu tun und dem, was mir im Leben passiert. Darum ist der Prozess für mich persönlich auch so wichtig. Weil ich oft Dinge, die mir passiert sind oder mit denen ich mich gerade beschäftige, künstlerisch bearbeite und zu einer Aussage bringe. Nicht zuletzt auch verarbeite.  Ich habe im Studium zum Teil manchmal Dinge mit meinem künstlerischen Tun verarbeitet. Auch Themen aus meiner Familie, die habe ich dann auch wirklich befriedet.


Das Ergebnis, das man sieht, hat eine Bedeutung. Aber es wäre nicht das Ergebnis, wenn es den Prozess nicht gegeben hätte?

Ja, genau. Auf jeden Fall. Der Prozess ist total wichtig und so unterrichte ich auch. Mir ist nicht wichtig, dass die Teilnehmer:innen hinterher mit schönen oder überhaupt mit Bildern nach Hause gehen. Das irritiert auch viele, die anfangs im Grundlagenjahr zu mir kommen. Mir ist wichtig, dass die Teilnehmenden was erleben, dass sie nach Hause gehen und sagen können: „Da habe ich jetzt echt was erlebt.“
 

Es ist ein Stück Auseinandersetzung mit sich selbst?

Ja, genau. Plötzlich merken die Menschen: „Krass, ich muss mich mit mir selbst auseinandersetzen.“ Aber Kunst entsteht nicht, wenn man sich nicht mit sich selbst auseinandersetzt. Das ist meine tiefe Überzeugung. Wenn ich einfach ein schönes Bild machen will, würde ich mich nicht für ein Grundlagenjahr am Werkhaus anmelden. Vielleicht dann lieber in anderen Kurs gehen oder in die Volkshochschule, wo es so ein bisschen übersichtlicher ist. Oder in so eine „Art Night“, da gehst du am Ende mit einem Bild nach Hause.
 

Auf deiner Website findet man Installationen, Fotografien, Malerei und noch mehr. Was ist deine Herzenskunst? Gibt es die überhaupt?

Nein, kann ich nicht sagen. Ich habe das alles gerne gemacht. Aber mir hat ein bisschen der Raumbezug gefehlt bei der Malerei. Es ist halt „Flachware“, wenn man das so blöd sagen kann. Wenn ein Bild in eine Ausstellung gehängt wird, dann ist es oft so, dass der Maler, die Malerin mit ihrem Bild kommt und mit dem Nagel und den hämmert sie in die Wand und hängt das Bild hin. Und was links und rechts hängt, ist eigentlich egal. Das ist jetzt sehr überspitzt gesagt. Mir ist gleich am Anfang, als ich bei Alanus war, bei den Rundgängen aufgefallen, dass es bei den Bildhauern anders war. Ich bin in diese Räume rein und dachte: „Wow“ und konnte aber nicht festmachen, was es ist, was da anders ist. Als ich dann gewechselt habe und den ersten Rundgang bei den Bildhauern mitgemacht habe, war ich erst mal nach zwei Jahren Alanus-Studium völlig blank und dachte mir: „Was machen die hier? Worüber denken die? Was reden die eigentlich hier?“ Bis ich dann eben verstanden habe, das ist eben ein Bildhauer, eine Bildhauerin, der oder die sieht immer oder füllt den ganzen Raum und die Blickachsen.
 

Gibt es ein besonderes Erlebnis?

Ich erinnere mich an eine Künstlerin, die hat eine riesige Lebens-Skulptur in diese riesige Halle gestellt. Dahinter waren Wände frei und ich dachte „Oh prima, dann kann ich ja da meine Fotos dahinter hängen.“ Und sie sagte: „Nein, kannst du nicht.“ Dann sage ich: „Warum denn nicht?“ „Es geht nicht, das stört die Blickachse.“ Und ich dachte mir: „Alter, das gibt es doch nicht.“ Aber sie hat recht gehabt. Und da habe ich diesen Raumbezug gelernt.

Ich wollte am Anfang das Bild von der Wand befreien und den Rahmen sprengen. Ich tackere mir die Leinwand an die Wand, weil ich den Widerstand brauche. Ich bin so sehr körperlich beim Malen. Eigentlich bin ich eher bildhauerisch beim Malen. Ich fühle auch sozusagen Steine oder Sand oder Wind oder Wasser. Das muss ich alles fühlen, damit das entsprechend gemalt werden kann. Und habe dann auch bei den Bildhauern vier Meter lange Bahnen gemalt und in den Raum gehängt.


Das Herz, was in dir schlägt, ist dann das einer ganzheitlichen Künstlerin?

Ja, das ist total gut gesagt. Ja, genau. Ich suche mir auch immer das passende Medium zum Anliegen aus. Bei mir kann auch jede:r in den Kursen mitbringen, was er oder sie will. Die verschiedenen Malrichtungen, also Öl, Acryl, Aquarell, die sind vom Denken her anders. Beim Aquarell musst du im Prinzip schon vorher wissen, wie das Bild ungefähr wird. Weil du weiß stehen lassen musst. Du musst vielmehr denken. Beim Acryl, wenn es irgendwie anders sein soll, malst du drüber oder machst weiß und malst dann wieder drüber. Und es trocknet sehr schnell. Beim Öl geht es wieder nicht, aber da kannst du tolle Übergänge schaffen. Jedes Mittel verhält sich anders und je nach Ausdruck wähle ich es entsprechend aus. Ob ich Öl nehme oder Acryl, entscheidet das, was ich malen will. Je nach Anliegen. Oder ob es eine Installation wird oder eine Textilarbeit. Habe ich ja auch schon gemacht.
 

Deine Kurse sind ausgebucht, kaum haben wir sie veröffentlicht. Auch in diesem Jahr ist es wieder so. Wie machst du das?

Ich kann es dir ehrlich gesagt nicht sagen. Ich mache kein Marketing, überhaupt nicht. Ich glaube einfach, dass ich sehr gut begleiten und vermitteln kann. Das liegt mir sehr und ich mache es sehr, sehr gerne. Ich weiß ja, was auf einen zukommt, wenn man malt: Der innere Kritiker. Wie laut kann der werden und wie brutal kann der auch werden? Ich weiß, in welche Krisen man geraten kann, wenn man nicht weiterkommt. Ich kenne das alles. Ich merke schon, wenn da jemand steht und „das Wackeln“ anfängt.

Ich sehe Kunst als eine Selbsterfahrung. Es ist krasse Selbsterfahrung. Wenn man an seinem Anliegen arbeitet und sein inneres Anliegen ausdrücken möchte, kann ich das gut begleiten. Ich glaube, die Leute fühlen sich einfach sehr gut aufgehoben und sicher. Wenn du anfängst, das, was in deiner Seele ist, sage ich jetzt mal so ein bisschen esoterisch, auszudrücken, dann musst du erst mal ausprobieren. Das ist die Spielphase im kreativen Prozess. Wie kleine Entwürfe. Und dann, wenn du dich sicher fühlst, präsentierst du die auch und dann kann gemeinsam ausgewählt werden, welches das stärkste Bild dafür ist. Wenn in der Phase aber keine Sicherheit herrscht, beziehungsweise man nicht gut begleitet wird, ist das ganz schön verhärmt. Dann geht der Rollladen runter und du schützt dich psychisch. Das ist der Punkt, dass sich die Leute bei mir wirklich sicher fühlen und sich öffnen können und eben auch Entwürfe präsentieren und wirklich weiterkommen.
 

Die Menschen, die sich für deinen Kurs anmelden, haben also eine Ahnung, dass sie mit dem Wunsch nach Auseinandersetzung zu dir kommen und nicht mit dem Wunsch, ein schönes Bild zu malen oder eine Technik zu erlernen?

Ja, ich glaube schon. Ich unterrichte in verschiedenen Formaten. Wenn es meine eigenen Formate sind, dann ja. Ich habe auch gemerkt, dass der Text wichtig ist. Wenn die Leute in der Vorstellrunde sagen: „Ich bin gekommen, weil in deinem Text der Satz XY steht, dann weiß ich schon: „Yuppie, das wird super“, weil es dann matcht. Dann habe ich die Leute, die genau das wollen, was ich bieten kann. Im Grundlagenjahr, da ist es natürlich ein bisschen anders. Da merkt man auch, dass die Leute schon mit dem Wunsch kommen, sich intensiver mit Kunst auseinanderzusetzen, aber noch nicht wirklich wissen, was da eigentlich auf sie zukommt. Bei mir merken sie dann wahrscheinlich: „Ach krass, da kann ich mich weiterentwickeln“. Dann sehen sie ja auch die Ergebnisse und sind extrem zufrieden damit und merken: „Oh krass, wenn ich mein eigenes Anliegen mitbringe und da wirklich dran arbeite und da reingehe, dann wird das richtig gut.“
 

Da bist du nah am Coaching, nah am Bearbeiten von Themen, die jemanden beschäftigen?

Ich sage mal, ich habe verschiedene Hüte auf. Einerseits bin ich die Expertin. Ich weiß natürlich mehr als die Teilnehmer:innen. Deswegen kommen sie ja. Manchmal bin ich auch einfach nur Coach und manchmal bin ich vielleicht sogar ein bisschen Therapeutin.
Ich mache auch sehr viel für die Gruppe. Es ist mir wahnsinnig wichtig, dass die Gruppe gut zusammenwächst. Da ist ein Vertrauensverhältnis in der Gruppe, in der Gruppe zu mir und für alle. Ein Punkt, der, glaube ich, auch ausschlaggebend ist, weil sich die Leute einfach in der Gruppe wohlfühlen.


Du bist Diplom Biologin und hast in der Forschung gearbeitet. Spielt diese Biologin in dir bei deiner Kunst noch eine Rolle?

Ich liebe Landschaft. Für mich ist Landschaft im ganz klassischen Sinne das wirklich Erhabene. Das ist spirituell für mich. Diese wunderbare Landschaft ergreift mich zutiefst. Ich bin vor dem Kunststudium in Schottland gewesen und ich hatte so was noch nie gesehen. Das hat mich total umgehauen. Und dann habe ich ein Jahr später mit dem Kunststudium angefangen. Das Erste, was ich gemalt habe, waren Landschaften und so ist es geblieben. Wenn du mir einen Stift gibst oder Farben und ich irgendwie anfange, am Ende ist es immer eine Landschaft. Immer. Es ist immer noch da. Das Denken und das Streben einer Wissenschaftlerin und einer Künstlerin, das ist gleich. Beide gehen ins Unbekannte und beide gehen ins Neue. Beide wollen etwas finden, was es noch nie gab. Oder eben aufdecken.


Was warst du zuerst? Künstlerin oder Biologin?

Also ich habe in Bio und in Kunst Abi gemacht.


Okay, klare Antwort.

Ich habe aber als junge Frau gedacht, na Kunst, das ist so die brotlose Kunst. Mach mal lieber Biologie. Und ich bin auch froh, denn das Studium war unglaublich. Es hat mich jeden Tag umgehauen, weil was es alles in der Natur gibt, kann man sich nicht vorstellen. Es ist einfach krass. Aber man geht ja trotzdem in Prüfungen und da geht es um Wissen. Und hinter diesem Wissen kann man sich ganz gut verstecken. Auch wenn ich Vorträge halte, kann ich mir vorher das Wissen aneignen und einen tollen Vortrag hinlegen. Aber in der Kunst, das habe ich dann relativ schnell im Studium gemerkt, kann man sich nicht mehr verstecken. Da steht das Bild und das musst du in deinem Colloquium dreimal im Jahr, dreimal im Semester, präsentieren und dann musst du dich im Prinzip präsentieren. Und das ist mir echt schwergefallen, aber ich habe es gelernt. Es war gut.


Arbeitest du noch Biologin oder ist das Geschichte?

Nicht aktiv, nein. Seit 23 Jahren arbeite ich nicht mehr als Biologin. Ich habe den Job damals aufgegeben für die Kunst, bevor ich überhaupt studiert hatte. Ich wollte das mal ausprobieren und fand es im Rückblick recht erfolgreich. Aber in dem Moment habe ich die typische künstlerische Krise bekommen und gedacht: „Also eine Künstlerin hat keine Krise, dann darfst du das nicht mehr machen.“ Und habe es dann nicht mehr gemacht, was völlig idiotisch war. Heute weiß ich, ohne Krise keine Kunst, so ungefähr. Und habe es dann später eben noch mal studiert. Aber ja, wie gesagt, die Liebe zur Natur und die Liebe zur Biologie, auch zur Wissenschaft, die ist schon geblieben.
 

Die Menschen bei uns suchen manchmal nach ihrem künstlerischen Ausdruck. Was heißt das eigentlich, einen eigenen künstlerischen Ausdruck zu haben?

Ganz schön schwierig, die Frage. Unser Prof damals sagte: „Wenn es Kunst ist, dann sehe ich das.“ Und wir fanden immer so: „Ja, toll. Was ist denn das für eine Aussage?“ Ich war gestern auf der „Art Karlsruhe“ und ich bin durch diese Hallen gegangen und mich hat, ehrlich gesagt, fast nichts wirklich bewegt, angesprochen. Dann bin ich zum Stand Kunsthochschule Karlsruhe gekommen. Die hatten, dreimal zwei Meter große Leinwände. Es war eine bestimmte Klasse, jeder hatte eine Leinwand bemalt, auf diesem Riesen-Format. Zwei waren dort am Stand und haben immer diese Leinwände von einem Eck des Standes zum anderen getragen, so an uns vorbei, wie eine lebende Diashow. Und diese Bilder haben mich berührt. Und da habe ich mich lange ausgetauscht mit meiner Freundin, mit der ich da war und habe überlegt: „Warum ist das so? Was ist an diesen Bildern sozusagen mehr Kunst, als an den ganzen Galerien, die da ausstellen? Und ich glaube, es ist das Unmittelbare und das noch nicht so überlegte.
Das andere, das kam mir immer alles überlegt vor mit so vielen Effekten. Und ich male es jetzt in Neon, weil das cooler ist. Es hat was mit Unmittelbarkeit zu tun, aber auch mit Innerlichkeit, also mit was Wahrem, mit einer inneren Wahrheit, die man zum Ausdruck bringen möchte. Mit einem inneren Ringen vielleicht. Das muss nicht furchtbar werden, also ein schlimmes Ringen sein, aber entweder ringt man mit der Thematik oder man ringt mit dem Material. Es muss irgendwie um ein Ringen gehen. Das würde ich als künstlerischen Ausdruck bezeichnen.
 

Welchen Tipp hättest du für jemanden, der auf der Suche ist, nach seinem künstlerischen Ausdruck? Wie kann er oder sie ihn finden?

Guck nach innen und überleg, „was ist mein Anliegen? Was ist gerade das Thema?“ Man muss erst mal die Vorstellungen abbauen, „ich habe jetzt hier draußen diesen Ast gesehen und den male ich jetzt.“ Frag dich: „Wofür steht denn der Ast? Warum findest du den Ast so interessant? Was ist daran so interessant?“ Und wenn du dann weiterfragst, dann irgendwann kommen sie drauf: „Ah, das steht für mich, für Leben oder für neues Leben, oder so, wenn ich jetzt an diese Knospen da draußen denke.“ Und dann kann man sich weiterfragen: „Okay, und wie mag ich das ausdrücken? Also: Welche Farben stehen denn für mich für Neubeginn und Anfang? Und dann kann man so eine Farbskala anlegen und dann einen Ausdruck dafür suchen.“

Dann wird es auch über einen gewissen Prozess, über Können und Wissensvermittlung hinaus eine starke Aussage. Nicht ein gutes Bild, aber eine starke Aussage. Darum muss es ein starkes Bild werden. Wenn du es hinhängen willst, muss dich das berühren. Das Bild als offener Assoziationsraum. Wenn das geschafft ist, dann ist es ein starkes Bild.

Vielen Dank, liebe Angelika für diesen spannenden Austausch und den Einblick in deine Arbeit.

Das Interview führte Katharina Bertulat

 

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