Im nächsten Jahr wirst du zum ersten Mal deinen Kurs „Künstlerische Prozessbegleitung“ im Alanus Werkhaus anbieten. Was macht für dich das Werkhaus zu einem guten Ort für deinen Kurs?
Ich habe jahrelang unterrichtet an der Alanus Hochschule, in der Bildhauerei. Und noch etwa fünf Jahre die Kunsttherapie mitbegleitet, das erste Jahr der berufsbegleitenden Kunsttherapie. Ich halte das Werkhaus sowieso für einen guten Ort, um Kunst zu unterrichten. Es ist überhaupt der Ort, glaube ich!
Ich habe bei mir zu Hause sehr viele private Kurse gegeben. Jetzt einen Werkhaus-Kurs zu geben, halte ich für wunderbar. Da denke ich auch an die Zielgruppe. Ich mag so gemischte Gruppen, Leute, die wirklich motiviert sind, die wissen, warum sie kommen, und die richtig was wollen. Darum ist es doch der Ort überhaupt.
Wie, denkst du, kann das künstlerische Schaffen die Perspektive auf das eigene Leben verändern?
Die Kunst, die arbeitet natürlich auf einer anderen Ebene unseres Denkens als das mentale Denken. Wenn man künstlerisch arbeitet, kommt man an ganz andere Schichten. Das ist dann nicht nur wie ‚denke ich darüber‘, sondern ‚was kommt aus meinen Händen heraus‘? Was kommt aus meinen Gefühlen, wenn ich das übersetze? Man merkt, dass diese Fragen auf einer ganz anderen Ebene und letztendlich viel nachhaltiger bewegt werden, als wenn sie nur denkerisch bewegt werden. Das ist diese tief menschliche Seite, die ich die Schicksalsseite nenne, an die man mit der Kunst ganz schnell rankommt.
Die setze ich in meinen Coachings unmittelbar ein. Meine Gespräche sind immer viel kürzer als die meiner Kollegen. Weil die Leute durch tiefe Prozesse gehen. Man sieht sich, wie man sich sonst nicht sieht. Es ist, als hätte man nie einen Spiegel gehabt und hätte dann zum ersten Mal einen Spiegel. Das ist doch wunderbar, wenn man den Spiegel mal von der anderen Seite hält, um aus einer anderen Perspektive zu schauen, die sich dann auch realisieren lässt über die Kunst. Man kann über das Künstlerische gesellschaftlich aktiv sein und Menschen wachrütteln.
Wie erlebst du das in künstlerischen Prozessen?
Wenn ich zum Beispiel mit Holz arbeite, 20 Jahre lang, ist das kein Zufall. Dann braucht es das in mir. Und irgendwann ist das vorbei. Ich habe Holz ausgebrannt, von innen ausgehöhlt. 20 Jahre lang habe ich das gemacht. Das sind tiefe Motive, die dahinterstecken. Es ist mir erst vor ein paar Wochen ganz klar geworden, warum ich das zu machen hatte. Aber ich bin jetzt ein bisschen darüber hinaus, habe ein anderes Thema. Der Künstler weiß nicht genau, warum einem etwas treibt. Aber die Hände, die machen das einfach. Und das ist der tiefe Willensstrom im Innern, der seinen Widerhall findet im Außen, im Äußeren. Das ist reine Energie. Und da kann man nicht aussteigen.
Ist man sozusagen für sein eigenes Schicksal verantwortlich?
Man steht immer am Lenkrad. Es gibt nichts, was keine Konsequenzen hat. Das ist ein karmisches Gesetz. Das, was ich raussetze, gehört mir. Geistig gesehen und energetisch gesehen. Ich bin der Autor von allem, was ich sage, was ich tue, was ich anderen tue, was ich an Initiativen in die Welt setze. Das gehört alles mir und das bleibt auch bei mir. Zum Beispiel, wenn ich Leid hinzufüge, dann füge ich mir Leid zu. Das ist eine Verletzung an meiner ursprünglichen Seele, an meinem ursprünglichen Geist, an meinem Menschsein. Und dann werde ich mit dieser Verletzung leben müssen. Das will ich geraderücken. Das heißt, es kommt die Verletzung auch mal zurück. Wie ein Bumerang. Das ist nicht, weil das Karma böse ist, aber ich habe mir eine Verletzung hinzugefügt, die möchte ja geheilt werden.
Hast du ein Beispiel?
Ich habe immer das Beispiel eines Gemäldes. Wenn ich einen grünen Strich hinzufüge, dann ist das mein Strich oder meine grüne Fläche, ein Fleck oder ein roter oder schwarzer, tiefschwarze Ton. Dann habe ich das gemacht und das Gemälde behält das bei. Das ganze Gemälde ist mein Karma. Wie es dann weitergeht, bestimme ich selbst. Und was ich gemacht habe, war auch von mir bestimmt. Dieses Gemälde sagt dann schon, wo dringend etwas gemacht werden will. Das ist auch nicht festgelegt von irgendwelchen Geistern oder so. Wenn das Schwarz am meisten stört oder vielleicht am schönsten ist, weil es Tiefe bringt, dann werde ich da weitermachen und einen Ausgleich bringen. Und wenn es zu viel Grün hat, dann sage ich: „genug Frieden“. Es braucht auch mal Rot , so dass es auch pfiffig wird. Da braucht man Pfeffer in die Suppe oder so was. Es ist auch ein Abenteuer. Es ist ein Menschenwerk. Das ist doch schön.
Wie kann Kunst helfen, sich selbst, sein Leben, sein Schicksal besser zu verstehen? Vielleicht auch dabei, Entscheidungen zu treffen oder etwas zu verarbeiten?
Im Künstlerischen ist man natürlich im Tun. Im Tun ist man sich karmisch am nächsten. Vor allem das, was man unbewusst tut, zeigt, wo man steht. Das braucht man im Grunde genommen nur lesen zu lernen, ohne zu urteilen. Das heißt, man kann eine Geschichte lesen. Warum brenne ich 20 Jahre lang Hölzer aus? Was habe ich mit dem Feuer zu tun? Ich habe eine tiefe Beziehung mit dem Feuer. Aber das habe ich erst jetzt rausgekriegt. Das ist sehr hilfreich, weil im Grunde genommen weiß man unbewusst, was mal war und was werden will. Wenn einem das gespiegelt wird, dann hilft das sehr. Da kann man auch sehr schnell Blockaden lösen.
Was spielt das für eine Rolle in deinem Kurs?
Für den Kurs „Künstlerische Prozessbegleitung“ ist es nicht mein Ziel, ins Karmische hineinzugehen. Es ist mein Ziel, zum Schöpfen zu kommen. Es geht um die Prozesse im Schaffen, um „Wer ist der Mensch?“. Manchmal braucht man einen neuen Tipp. Man gibt einen kleinen Tipp und dann sagen sie „Ja, Dankeschön!“ und es geht weiter. Aber manchmal gibt es eine innere Blockade, dann dreht man sich im Kreise.
Wie äußert sich das?
Es gibt zum Beispiel, das ist klassisch, Leute, die aus ihrem Kopf nicht rauskommen. Die haben immer ihre Schienen und sagen: „Ich mache immer das Gleiche und ich komme da nicht raus“. Dann ist es eine innere Geschichte. Oder es sind Leute, die müssen immer mit Leid arbeiten, da sieht man immer was Leidendes. Die fallen immer da rein. Dann sage ich: „Das erlebe ich bei dir, machst du das bewusst oder machst du das unbewusst?“. Manchmal sind sie sich dessen nicht bewusst. Dann frage ich: „Willst du da raus? Oder willst du mal da durchgehen?“. Eigentlich ist es besser durchzugehen. Aber dann sage ich: „Geh mal kurz durch, und dann kannst du weitermachen. Dann kannst du auch mal raus und danach kannst du andere Sachen machen“. Wenn es nicht so eine tief persönliche Geschichte ist, dann braucht man das oft nur einmal zu sagen und dann hat man das aufgenommen.
Sind das dann therapeutischer Elemente in deinem Kurs?
Es ist nicht therapeutisch, aber es ist bildend. Innerlich bildend und äußerlich bildend. Persönlichkeitsbildend. Ich war immer bekannt als derjenige, der auch mit persönlichen Prozessen arbeitet. Ich war der Einzige. Meine Kollegen haben das nicht gemacht. Die Student:innen schätzen das sehr, dass auch mal an Persönlichem gearbeitet wird. Ich habe nur mit der Kunst gearbeitet, aber mein Feedback war vielleicht ein bisschen anders.
Du hast sichtbar gemacht, was entstanden ist oder was entsteht oder was sich zeigt?
Wer sich zeigt, vor allen Dingen! Ich habe immer gezeigt, wer sich zeigt. Das war so mein Ding. Die anderen haben vielleicht eher auf die Ästhetik geschaut? Oder in die Kunstgeschichte. Das habe ich auch gemacht, aber weniger. Ich habe immer geschaut auf den Künstler.
Man kann durch Kunst zu Erkenntnissen kommen, die man durch Denken und Sprechen gar nicht erreichen kann?
Es sei denn, man nimmt die Sprache als Kunstform. Einer spricht z.B. einen krassen Satz. Das sind die Sätze, die etwas über das Innere sagen. Diese Sätze sagt man oft. Die werden oft gesprochen. Man sollte mit Sätzen arbeiten, die eine Bildqualität haben.
Zum Beispiel?
Ja. Jetzt will ich mal nachdenken. „Kunst ‚muss‘ schön sein.“ Oder: „Wenn man Kunst macht, muss man durch den Dreck gehen“. Das könnte so ein Satz sein. Das könnte sogar mein Satz sein. Früher vielleicht. Also all diese Klischees.“ Oder sowas Großes: „Kunst muss die Welt verändern“. Wenn man das sagt, dann kann man davon ausgehen, dass es eine eingemachte Sache ist. Weil das so eine Behauptung ist. Kunst kann die Welt verändern. Okay, da bin ich einverstanden. „Kunst muss die Welt verändern“ – das würde ich nie so sagen.
Wie würdest du im Kurs reagieren auf einen Satz wie „Kunst muss die Welt verändern“?
Wenn jemand das regelmäßig sagt, dann würde ich sagen: „Mach mal was, was die Kunst muss. Mach mal ein Muss. Mach aus Ton mal ein Muss, mach mal eine Skulptur draus“. Wenn jemand das oft wiederholt, dann würde ich das vielleicht vorschlagen. Dann hat man doch ein tolles Thema.
Dann würde ich das sicher schon gesehen haben in seinen Skulpturen. Dann hätte ich sicher schon einen gewissen Druck gespürt. Ich sage so Sätze auch nur, wenn ich sie im Kunstwerk sehe und wenn ich sie auch noch in Menschen sehe. Wenn so ein geblockter Kerl sagt: „Kunst muss!“ und dann noch so kompakte Sachen macht, dann bin ich schon 100 % sicher, dass er einen übermäßigen Druck hat. Und den will er über die Kunst loswerden. Und da werde ich ihm natürlich helfen, das loszuwerden. Über die Kunst.
Kommen wir zu dir. Du bist ja neben deiner Arbeit als Prozessbegleiter und Lehrender vor allem auch Künstler, Bildhauer. Mit Werken aus unterschiedlichsten Materialien. Hat die Wahl des Materials oder der Umgang mit dem Material einen Einfluss auf den künstlerischen Prozess?
Man kann sich den Einfluss eines Materials nicht entziehen. Da ist der Stein, der so viel Widerstand bietet und auch eine gewisse Härte hat, aber auch frei lassend ist. Der hat keine Maserung wie Holz zum Beispiel. Holz, das in einem Leben gewachsen ist, das eine Maserung hat, das das Lebendige hat. Das kann man so gar nicht miteinander vergleichen. Ton, der alles mit sich machen lässt, aber selber keine Form hat, der auch noch die Feuchte in sich trägt, der auch heilend wirkt. Das zieht dann das Übel raus. Man arbeitet mit Welten und die Welten formen einen. Was die Sinnesorgane erleben oder was die Hände erleben, das formt einen auch.
Wenn ich zehn Jahre mit großen Steinen gearbeitet habe, dann bin ich auch ein bisschen Stein geworden. Das heißt, ich bin auch weise geworden und habe vielleicht ein bisschen mehr Geduld. Aber ich bin auch ein bisschen verhärtet. Und darum habe ich auch gestoppt, mit großen Steinen zu arbeiten. Ich fühlte, dass ich härter wurde. Der Körper. Dann habe ich angefangen, in Holz zu arbeiten. Das geht auch schneller und es ist leichter. Es sind unterschiedliche Menschen, die bestimmte Materialien anziehen. Das konnte man sogar sehen in der Steinbildhauerei. Die Marmorbildhauer, das waren andere Leute als die Granitbildhauer.
Bist du eher Marmor- oder eher Granitbildhauer?
Ich fühlte mich gut bei den Granitbildhauern. Die Marmorbildhauer, die waren viel zu exotisch. Das waren so die Italiener, und die hatten immer große Geschichten zu erzählen. Die Granitbildhauer, die haben immer genickt. Und wenn sie was gesagt haben, dann war es eher was Wichtigeres. Aber sonst waren sie so wie Granitblöcke. Ich habe überhaupt kein Interesse in Marmor gehabt. Es war mir viel zu weich. Ich suchte den Widerstand. Jetzt habe ich wieder den Weg zu den Steine gefunden. Marmor. Ja, dachte ich, das Leben kann auch mal leicht sein. Also überhaupt kein Widerstand. Aber meine anderen liegen schon bereit. Quarzsteine habe ich schon gefunden. Die sind ein bisschen härter und da werde ich mich noch mehr drauf freuen.
Zurück zu deinem Kurs. Du hast es schon angedeutet, aber nochmal konkret: Wen sprichst du mit deinem Kurs an? Sind es eher Menschen, die Menschen in Coachingprozessen begleiten? Oder Künstlerinnen, die Künstlerinnen begleiten wollen? Wer ist deine Zielgruppe?
Im ersten Teil ist es egal. Da gehen wir gemeinsam durch den Prozess. Da habe ich manchmal sogar Anfänger, die das kennenlernen wollen. Sonst sind es Künstler, die den eigenen Prozess vertiefen wollen. Dann gibt es Künstler, die andere Künstler anleiten wollen. Und es gibt Menschen, die coachen wollen. Die kommen aus der Coaching-Ecke. Für den zweiten Teil kommen manchmal auch Therapeuten, die andere Mittel suchen und noch mehr mit dem Künstlerischen arbeiten wollen. Oder Leute, die coachen und auch noch mehr mit dem Künstlerischen arbeiten wollen. Es können auch Lehrer sein, Waldorflehrer zum Beispiel, die noch mehr mit dem Prozess arbeiten werden wollen. Das Spektrum ist sehr breit.
Zum Schluss unseres Gesprächs möchte ich dich noch um einen Tipp bitten. Um eine kleine Übung, die Menschen jetzt zum Jahresanfang helfen könnte, die Zukunft in eine gewünschte Richtung zu lenken. Hast du eine Idee?
Oh ja, das könnte man auch in einer Gruppe machen. Man könnte zum Beispiel sagen: „Nächstes Jahr will ich mit diesen Kräften arbeiten“. Dann nimmt man etwas Ton, schließt die Augen und macht mit geschlossenen Augen eine Form, die zum Ausdruck bringt, wo man im nächsten Jahr seine Kräfte hineinschicken will. Man schickt eigentlich die Kräfte für nächstes Jahr in den Ton hinein. Das, was man machen will. Und dann kann man mit offenen Augen das noch ein bisschen verfeinern. Danach liest man die Form des anderen und erzählt, was man wahrnimmt. Und dann fragt man den Ersteller: Was hast du da so reingelegt? So entsteht ein kleines Gespräch und das macht man mit jedem, jeder in der Gruppe. Das wäre eine wunderbare Übung. Und sie hat Kraft.
Eine tolle Übung. Danke dir, lieber Jaak, ganz herzlich. Für das intensive Gespräch, diese vielen Einblicke. Zu gerne würde mitmachen in deinem Kurs!
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Das Gespräch mit Jaak Hillen führte Katharina Bertulat.
Ursprünglich schuf der belgische Bildhauer Jaak Hillen monumentale Skulpturen aus großen und robusten Steinen. Seit etwa 20 Jahren sind sensiblere Prozesse, denen Holz zugrunde liegt, sein Hauptthema. Jaak schafft wie die Natur, nicht nach der Natur und hebt das Material über sich selbst hinaus. Das Material vermenschlicht, ohne gegenständlich zu werden, balanciert auf den Grenzen zwischen Leben und Tod, Schöpfung und Verfall, Zerstörung und Heil werden, Bewegung und Stillstand, Licht und Dunkelheit, ...
Für die Arbeit mit Menschen hat er den Weg „Prozesse im Schöpferischen“ entwickelt, bei dem Produktentwicklung und Selbstentwicklung Hand in Hand gehen.
Jaak Hillens Kurse bei uns am Werkhaus:
08.07.2025 – 19.01.2026
Zertifikatskurs Künstlerische Prozessbegleitung – Teil I
13.04.2026 – 02.07.2026
Zertifikatskurs Künstlerische Prozessbegleitung – Teil II