Du bist jetzt schon lange als Dozentin am Werkhaus. Wie hat es damals angefangen?
Kurz nach dem Studium habe ich Marlies Rainer kennengelernt und das Institut »Kunst im Dialog«. Marlies hatte mich gefragt, ob ich Kunst im Berufspädagogen machen kann. Ich erinnere mich ganz stark an eine Begegnung in diesem Kurs, da hatte ich so eine Art »Initiation«, wie eine Erweckung. Früher hab ich mich immer nur als Künstlerin gesehen und wollte berühmt werden und mein Atelier weiterbringen. Als ich dann mit diesen Erwachsenen gearbeitet habe, hatte ich auf einmal das Gefühl, das macht mir Freude. Es ist etwas, wo ich auf Augenhöhe arbeiten kann. Ich hatte so ein ganz gutes Gefühl, wie ein Fisch im Wasser. Dieser Kontakt mit der Erwachsenenbildung ist am Werkhaus passiert, durch die Menschen, die da waren.
Du bist Künstlerin und künstlerische Prozessbegleiterin. Wo liegt dein Schwerpunkt?
Ich habe mich mit der Zeit immer weiter spezialisiert. Mittlerweile bezeichne ich mich als Begleiterin, als Prozessbegleiterin. Das heißt, dass ich Menschen mit Kunst in Veränderungsprozesse einlade, auch wenn sie gar nicht Künstlerinnen oder Künstler werden wollen. In Möglichkeiten, sich neu zu erleben über das Mittel der Kunst. Wir bauen was, wir machen was mit Malerei, mit Zeichnungen. Wir nutzen also die künstlerischen bildenden Medien und gucken darauf, was hat das mit meinem Leben zu tun? Was hat das mit meinen sonstigen Kompetenzen zu tun? Habe ich vielleicht eine neue Erfahrung gemacht?
Als künstlerische Prozessbegleiterin bist du jetzt besonders aktiv?
Ja, das ist mittlerweile mein Kernbereich, in dem ich mich sehr wirksam und erfüllt erlebe. Schon im Studium habe ich gemerkt, dass die Kunst eine besondere Kraft hat. Einfach für mich. Dann habe ich Menschen kennengelernt, die sich schon lange mit künstlerischem Handeln auseinandergesetzt haben, wie z. B. Professor Michael Brater. Und für mich selber gemerkt, dass ich Menschen gut begleiten kann und dass die Menschen erfüllt und mit einem neuen Blick auf sich selber aus einem künstlerischen Prozess rausgehen.
Was heißt konkret künstlerische Prozessbegleitung? Wie kann ich mir deine Arbeit vorstellen?
Ich versuche mal von meiner eigenen Erfahrung zu erzählen. Ich habe schon als Kind gemalt und gezeichnet, ich bin da immer total drin aufgegangen. Das waren Flow-Erlebnisse, das war meine Welt, die konnte ich gestalten. Beim Kunstmachen nimmt man etwas in die Hand und verändert was. Zum Beispiel kann ich den Stift aufsetzen und ich mache eine Linie. Ich sehe, da entsteht was. Das ist nicht virtuell oder nur im Gedanken, sondern es ist in der Welt. Egal wie klein oder groß man das macht, das ist einfach eine tolle Erfahrung. Das habe ich schon als Kind entdeckt und dann gedacht, ich muss Malerei studieren. Im Studium habe ich das noch viel intensiver wahrgenommen. Dass ich zu Themen komme, die eher innen liegen. Die dann nach außen kommen und ich dadurch wieder Zugriff darauf habe. Kunst stärkt und öffnet und ist ein Freiraum. Wir können unser Leben gestalten. Das merken wir in der Kunst.
Muss ich eine besondere Begabung mitbringen, um bei dir teilnehmen zu können?
Also das Beste ist, wenn Menschen schon mal erlebt haben, dass Kunst Spaß gemacht hat. Wenn das so gar nicht der Fall ist, dann versuche ich mit den Leuten einen neuen Blick drauf zu werfen. Wir schreiben den Begriff Kunst auf ein Stück Papier, knüllen es zusammen und werfen es weg. Denn eigentlich geht es vor allen Dingen erstmal um Kreativität. Und Kreativität ist, glaube ich, für jeden etwas, womit man was anfangen kann. Das fängt ja beim Kochen an. Ich habe irgendwelche Zutaten da und frage mich, was soll ich heute kochen? Spannend ist das besonders dann, wenn ich gar keine vorgefasste Lösung habe. Also kein Rezeptbuch, wo ich reingucken kann.
Wie überträgst du das auf das Kunstmachen?
Also alle Situationen, die kein Rezeptbuch haben, wie z.B. soziale Situationen, Teamführung, Kommunikation oder Dialog, lassen sich über Kunst neu erfahren. Es gibt für diese Situationen oder Themen zwar Modelle, aber eigentlich ist eine Interaktion immer offen. Ich muss mich einstellen auf den anderen. Ein Standard für alle wird nicht funktionieren, weil die Menschen so unterschiedlich sind. Hierfür gibt Kunst eine neue Perspektive. Aber eigentlich geht es gar nicht um Kunst. Man muss gar nichts können. Alles, was wir machen, ist leicht und spielerisch, hat was mit Forschen zu tun und vor allen Dingen mit Kreativität. Also es gibt keinerlei richtig oder falsch. Alles ist richtig. Alles was sich ereignet, ist richtig.
Unser Slogan heißt: »Mit Kunst neue Perspektiven eröffnen«. Das gilt auch für unsere Weiterbildung zum Handelsfachwirt. Was haben die künftigen Führungskräfte davon, Kunst zu machen?
Ich hab ja schon von den Rezeptbüchern oder Rezepten gesprochen. Wenn ich Mathe und Statistik lernen muss, dann gibt es Bücher dazu, da kann ich mir eine Formel merken. Die Themen braucht man nicht unbedingt mit Kunst beackern. Aber es gibt natürlich auch im Handel andere Kompetenzen, die man braucht. Führungskräfte haben ja ein Team und mit Menschen zu tun. Alle Themen, die mit Führung, Persönlichkeit und Kommunikation zu tun haben, sind für künstlerische Übungen total geeignet. Wir machen Übungen aus dem Bereich der bildenden und der darstellenden Kunst, die Kommunikation oder Achtsamkeit im Umgang miteinander erfordern und so auch geübt werden können. Neulich hat ein Handelsfachwirt in der Rückschau gesagt, ich kommuniziere jetzt anders und ich glaube, das liegt an den Kunstmodulen. Ich bin anders in meinem Team da.
Zurück zu dir. Du arbeitest auch im Atelier als Künstlerin. Was für Arbeiten machst du aktuell?
Seit einiger Zeit forsche ich mit Tusche. Ich mache kleine Zeichnungen, trage mit Pinsel Strukturen auf und wasche dann alles wieder ab. Ein Teil der wasserfesten Tusche bleibt dabei stehen. Es fließt der Aspekt des Loslassens und des Zumirkommens ein, weil das Wasser mitmacht. Nicht nur ich zeichne, wie das mit einem trockenen Stift wäre, sondern auch das Wasser. Natürlich hat das mit Erfahrung zu tun, wie die Tusche reagiert. Aber es hat immer auch mit Unvorhersehbarem zu tun und das finde ich superspannend. Mich interessiert schon seit dem Studium, wie Materialien interagieren. Ich habe ganz viel kombiniert und auch mit Tempera gearbeitet, mit Pigmenten, mit Material, das eine eigene 'Sprache' hat. Das liebe ich, weil es nie langweilig wird. Ich versuche immer noch mal eine neue Sicht auf die Tusche zu erhaschen. Was kann sie noch? Jedes Blatt ist unterschiedlich. Genau das interessiert mich als Künstlerin.
Zwei unterschiedliche Seiten, die du hast und die doch eng miteinander verbunden sind.
Genau daran forsche ich. Wie kann ich die beiden Bereiche, also meine Atelierpraxis und die künstlerische Prozessbegleitung, näher zusammenbringen? Wie könnte eine Ausstellung in Zukunft aussehen, außer Bilder an die Wand zu hängen? Wie könnte ich noch mehr Interaktion, Fragen, Diskurs, Aktion anregen? Ich habe noch keine genaue Antwort darauf, aber das ist etwas, was mich schon längere Zeit beschäftigt.
Danke, liebe Anne, für das Gespräch. Wir sind sehr gespannt auf alles, was entsteht. Und jetzt erstmal auf deine Tuschezeichnungen. Davon werden ja einige in unserem nächsten Ausstellungszyklus »Alles außer Tiernahrung« zu sehen sein.
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Anne von Hoyningen-Huene ist Künstlerin und bietet seit 2016 künstlerische Prozessbegleitung für Unternehmen, Institutionen und Projektarbeit an. Am Alanus Werkhaus führt sie die Handelsfachwirt:innen durch die künstlerischen Module.
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